Fehl- & Totgeburt: Von Ursachen, Belastung & Hoffnung

Interview
Warum ist der Diskurs rund um Fehlgeburten wichtig? Was können werdende Elternteile dabei beeinflussen – was aber vielleicht auch nicht? Diesen und weiteren Fragen widmet sich dieses Interview mit Ines Fuchs, einer Diplompsychologin, approbierten Psychotherapeutin und Fachbuchautorin.
Hinweis: Im Laufe dieses Interviews werden Betroffene einer Fehlgeburt und stillen Geburt oft in der weiblichen Form angesprochen. Trotzdem sollen explizit Personen aller Geschlechter und Geschlechtsidentitäten eingeschlossen werden, die ein Kind gebären, geboren oder verloren haben.

Warum ist es dir persönlich und fachlich wichtig, dass mehr zum Thema Fehlgeburt und stille Geburt gesprochen wird?

Es ist so, dass 10 bis 25 % aller klinisch nachgewiesenen Schwangerschaften in einer Fehlgeburt enden. Das bedeutet, dass jede sechste Schwangere einmal eine Fehlgeburt erlebt. Und da sind Totgeburten noch gar nicht mit eingeschlossen. Das heißt, dass das viele Frauen in ihrem Leben betrifft und von vielen potentiell als belastend erlebt wird. Folgen können z.B. eine unterdrückte Trauerreaktion sein, besonders, wenn das Umfeld den Verlust gar nicht so anerkennt oder die Gefühle. Es kann zu Versagens- und Schuldgefühlen kommen oder auch Neid auf Schwangere und jüngere Eltern. Partnerschaftskonflikte können ebenfalls auftreten, wenn die Partner unterschiedliche Wege haben, zu trauern. Wenn es dann zu einer neuen Schwangerschaft kommt, kann es sein, dass auch mehr Ängste da sind oder eine verzögerte emotionale Bindung an das Ungeborene. Wenn es sehr stressbelastend sein sollte, kann es zu mehr (körperlichen) Komplikationen kommen. Nach einer Fehlgeburt fallen auch viele auf der Arbeit aus und es kommt eventuell zu komischen Einschränkungen. Da muss man sagen, das sind jetzt eher die Komplikationen. Wir Menschen sind prinzipiell sehr resilient und können auch schwierige Situationen meistern. Aber es ist definitiv ein Thema, was viele betrifft und belastend ist. Und ich finde auch, dass das immer noch ein bisschen tabuisiert ist. Wenn es auch in letzter Zeit medial nochmal verstärkt aufgegriffen wird. Und bei medizinischen und psychosozialen Fachpersonen gibt es schon ganz tolle Begleitung, aber es gibt auch noch viel Unsicherheit. Deshalb finde ich, ist es ein wichtiges Thema.

Was ist der Unterschied zwischen einer Totgeburt und einer Fehlgeburt?

Beides sind ungewollte Verluste einer Schwangerschaft. Der Zeitpunkt ist unterschiedlich. Bei einer Fehlgeburt haben wir ein Gewicht des Embryos unter 500 Gramm. Das ist meistens so bis zur 22. Schwangerschaftswoche – je nach Entwicklungsstand. Hier ist eventuell eine Ausschabung oder Geburtseinleitung möglich. Es kann aber auch sein, dass der Embryo von alleine abgeht. Danach werden die Frauen meistens krank geschrieben. Eine Totgeburt (auch stille Geburt genannt) sind Babys, die über 500 Gramm wiegen bzw. nach der 22. bis 24. Schwangerschaftswoche versterben. Das ist dann eine normale Geburt, die stattfindet. Perinatal verstorbene Kinder sind tot geborene oder still geborene Kinder oder Kinder, die innerhalb von 7 Lebenstagen verstorben sind.

Warum haben diese Formen des frühen Kindestodes in den meisten Fällen eine natürliche, biologische Ursache, die nicht von der schwangeren Person beeinflusst werden können?

Es ist eine sehr komplexe Frage. Ich würde sagen – ich bin keine Medizinerin – dass gesunde Schwangerschaften prinzipiell robust sind. Allerdings ist die Schwangerschaft zu Beginn ein besonders störanfälliger Prozess. Da kann es zu grundlegenden Störungen bei der Befruchtung, Einnistung, Teilung der Eizelle kommen. Dann kann der Prozess vom Körper abgebrochen werden. Das ist zumindest bei den frühen Fehlgeburten so. Es ist aber gar nicht so leicht, auszuhalten, in einer Welt, in der wir Dinge gerne kausal erklären und entsprechend beeinflussen und kontrollieren möchten. Deshalb entwickeln Frauen nach einer Fehlgeburt oft auch diese Schuldgefühle, so nach dem Motto: Wenn es meine Schuld war, dann kann ich mich nächstes Mal besonders anstrengen. Und alles richtig machen. Vielleicht geht dann alles gut. Ich weiß nicht, ob das so nachvollziehbar ist, aber manchmal haben wir diese Schuldgefühle, weil sie wie eine Art Kontrollillusion für uns wirken. Es geht dann eigentlich mehr darum, sich von diesem nicht gerade hilfreichen Anspruch der totalen Kontrolle zu lösen und zu akzeptieren, dass wir nicht alles beeinflussen können. Ein paar Sachen können wir natürlich beeinflussen. Ich denke, das ist den meisten werdenden Müttern auch bewusst. Diese gängigen Vorsichtsmaßnahmen in der Schwangerschaft, z.B. welche Lebensmittel vermieden werden sollten. Die meisten halten sich daran, vielleicht auch ein bisschen übervorsichtig. Ich würde allerdings trotzdem sagen: Wenn ich mich unsicher fühle und vielleicht auch schon ein bisschen älter bin oder wiederholte bzw. eine späte Fehlgeburt hatte, würde ich trotzdem eine gute medizinische Diagnostik machen, um mögliche Risikofaktoren zu finden und behandeln zu können. Auch der allgemeine Gesundheitszustand, den wir oder auch die Väter haben, ist etwas, was wir prinzipiell in der Hand haben: Gesundes Gewicht, Ernährung, Bewegung.

Gibt es neben den Faktoren, die beeinflusst werden können, andere Faktoren, die schwangere Personen berücksichtigen können?

Wie gesagt, wenn chronische Erkrankungen vorliegen, sollte man sie vorher abklären lassen. Und die medizinischen Untersuchungen und Vorsorgeuntersuchungen sollte man so wahrnehmen. Da sind die Ärztinnen und Ärzte eher vorsichtig und bieten auch viel an. Wenn ich natürlich merke, dass irgendwas in meinem Körper nicht okay ist oder ich mir Sorgen mache, dann würde ich eher auch immer die gynäkologische Praxis aufsuchen, um das abklären zu lassen. Bei einem unguten Bauchgefühl ist die Empfehlung immer, es abklären zu lassen. Was nicht heißt, dass man ständig zum Arzt rennen muss, da sollte man einfach auf die eigene Intuition hören.

Was möchtest du denen mitgeben, die sich in der Vergangenheit in so einer Situation befunden haben oder akut von einem solchen Verlust betroffen sind?

Auch wenn sich das gerade vielleicht nicht so anfühlt, kann man nach so einem Verlust weiterleben und wieder von Herzen glücklich sein. Ich möchte euch sagen: Vertraut auf eure Gefühle, nehmt euch ernst und holt euch gerne professionelle Hilfe, wenn ihr feststeckt oder das Gefühl habt, das würde euch helfen.

Wenn du zur Zeit von diesem Thema betroffen bist oder eine Person, die dir nahesteht, dann informiere dich gerne weitergehend in den weiteren Beiträgen oder Interviews hier in der Mediathek. Selbstverständlich kannst du auch jederzeit die hier hinterlegten (psychologischen) Ansprechpersonen kontaktieren, wenn du mit jemandem sprechen möchtest. Dieses Angebot ist auch anonym verfügbar.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.
Schweizerische Post

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