(Erschöpfungs-)Depression: Umgang mit Betroffenen
InterviewFragst du dich, wie du Betroffene einer Depressionserkrankung unterstützen kannst? Oder möchtest du wissen, was du hierbei in jedem Fall in deiner Kommunikation beachten solltest? In diesem Interview teilt der ehemals betroffene Matthias Plack seine Erfahrungen, als er an einer Depression erkrankt war.
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Es herrscht viel Verunsicherung im Umgang mit Betroffenen einer Depression. Wie war das bei dir? Wie hat dein Umfeld auf deine Erkrankung reagiert?
Super unterschiedlich. Also je nachdem, auch in welchem Kontext das war, war alles dabei. Also ich habe extrem Zuspruch erfahren, ich habe auch wirklich Katastrophen im Umgang erlebt, wo ich heute denke: „Dass ich das überhaupt zugelassen habe, kann ich mir heute gar nicht mehr erklären.” Also, privat viel da sein, viel Zuspruch, auch Zweifel, auch Fragen wie: „Stellst du dich nicht vielleicht ein bisschen an?” Gleichwohl ganz viel einfach da sein. Es wächst ja, in verschiedenen Phasen kriegt man auch unterschiedliche Rückmeldungen, weil die Leute sich das nicht gut vorstellen können. Als es dann wirklich in der Krise war, habe ich bei vielen Menschen eine Form von Unsicherheit wahrgenommen. So ein bisschen auch der Klassiker, dann kommt nicht viel, weil die Leute – Spekulation jetzt von mir, muss nicht so sein – auch unsicher sind, wie sollen sie jetzt damit umgehen. Und das macht es herausfordernd, weil ich fühlte mich dann so ein bisschen alleine. Und gleichzeitig kann ich das total nachvollziehen. Es ist für Außenstehende einfacher, wenn der andere einen Beinbruch hat, als wenn er eine Depression hat. Das macht mit einem selbst etwas und man trifft auf eine massive Unsicherheit und auch eine Angst im Umgang damit.
Wie sahen Reaktionen aus, die du dir anders gewünscht hättest?
Also, speziell im Arbeitskontext: „Wenn du mal reden willst, meldest du dich”, ohne dass die Person überhaupt ansatzweise verstanden hat, wie es mir geht. Oder tatsächlich das Thema Lösung und Ratschlag. Ich habe tatsächlich auch zu hören bekommen: „Du brauchst ein dickeres Fell”, „Nimm das doch nicht so persönlich”, „Mach dich doch mal locker.” Und das hilft halt null. Also, es geht in dem Augenblick nicht um Lösungen. Es geht darum, da zu sein. Im Nachhinein betrachtet hätte mich mal jemand gefragt: „Sag mal, wie geht es denn dir?” und „Magst du mal eine Stunde einfach nur reden?” Das hätte ich super gefunden. Das hätte mir total geholfen. Ist aber nicht unbedingt realistisch, besonders im Arbeitskontext. Das soll gar nicht vorwurfsvoll klingen. Es geht ja nur darum, was hätte mir gut getan und was nicht. Und dafür Raum zu schaffen und – das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt – auch danach zu handeln, das würde ganz, ganz vielen Menschen helfen. In erster Linie sind Menschen betroffen und wissen dann nicht unbedingt weiter. Und weil wir alle drin haben, wir brauchen eine Lösung, wir müssen Hilfe geben, wir müssen konkret sagen, wie etwas besser wird – das hilft einem depressiven Menschen nicht. Der braucht Raum und der freut sich, wenn Menschen zuhören, da sind, vielleicht mal Fragen, vielleicht wieder dieses Thema kindliche Neugier, ihre eigene Unsicherheit zeigen, um dann tatsächlich auch das als Gewinn füreinander zu betrachten. Das macht es schwer, gerade im klassischen Business-Kontext, wo es um Zahlen, Daten, Fakten geht.
Würdest du sagen, dass es eher hilft diesen Austausch einzugehen, anstatt einer einseitigen Kommunikation, wo z.B. nur Lösungen rübergeworfen werden?
Genau. Also es ist schwer für die Leute, aber vielleicht einfach mal ergebnisoffen miteinander sprechen und zu akzeptieren, dass es jetzt so ist. Das gilt für mein inneres Management, aber auch für die Menschen draußen. Und es ist einfach extrem schwer, weil gerade im Familienkontext die Menschen sich ja verantwortlich fühlen, sie wollen ja helfen. Die wollen ja, meine Frau, meine Schwester, auch meine Kinder in ihren jungen Jahren, die wollten ja, dass es mir besser geht. Und im Nachhinein war ganz, ganz viel richtig. Und manche Dinge hätten wir anders machen können. Also, tatsächlich hätte es – und das ist überhaupt nicht als Vorwurf oder Kritik oder Ähnliches zu verstehen – aber ich glaube tatsächlich, hätte ich früher essentielle Kritik und Grenzen erfahren, „Hör mal zu, das geht so nicht, was du hier machst”, wäre vielleicht früher was entstanden. Ich kriege aber nicht auseinander, ob das ein heutiges Wunschdenken ist oder in der Vergangenheit. Es war so, wie es war und ich bin extrem dankbar, wie meine Familie mich aufgefangen hat.
Kannst du ein paar Beispiele im Familienkontext für beide Seiten geben?
Ja, also mir ist ganz, ganz wichtig, dass 90 Prozent gut gelaufen sind. Das Beispiel war, dass ich dann, als wir gemeinsam erkannt haben, das geht Richtung Depression und Burnout, dass auf einmal ganz wenig Erwartungen an mich gestellt wurden. Ich durfte in meiner Erkrankung sein und ich hatte natürlich ein furchtbar schlechtes Gewissen meinen Kindern gegenüber. Die waren damals neun und fünf oder sechs. Und das war ganz schwer zu ertragen, weil ich natürlich null Komma null einem typischen Vaterbild entsprochen habe. Das tat weh, tut heute noch weh, wenn ich mir das wieder vergegenwärtige. Und speziell meine Frau hat es geschafft, das sein zu lassen und das nicht zu hinterfragen und hat tatsächlich Geduld und Vertrauen vorgelebt. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt. Und ich bin auch in der glücklichen Situation, dass die Krise uns näher zusammengebracht hat. Ich kenne genug Betroffene, bei denen gingen Beziehungen auseinander deswegen. Und bei uns ist es so, dass wir weiter auch an uns jeweils, aber auch an unserer Beziehung arbeiten. Und das ist ganz, ganz glücklich. Und dieses Thema Arbeiten, da gab es auch zu der Zeit immer Dinge, wo ich gesagt habe: „Das wünsche ich mir jetzt anders”, und „Ich brauche jetzt keine Lösung.” Aber das ist im Nachhinein komplett zu vernachlässigen.
Gab es ein paar Schlüsselfaktoren, die du anderen Paaren mitgeben oder empfehlen würdest, die euch besonders gut getan haben?
Ja, es ist eigentlich nichts anderes als das, was wir vor einiger Zeit schon mal besprochen haben: Offen über die Bedürfnisse zu reden. Wenn ich als Paar trotzdem Individuum bleibe und in der Lage bin, darüber zu sprechen, was ich brauche und was ich geben kann, dann passiert ganz viel als Paar. Und wenn ich in einer Beziehung stecke, wo die Partnerin oder der Partner Erwartungshaltungen an mich hat, die ich aber einfach nicht erfüllen kann und darauf beharrt, ja dann kann das langfristig nicht funktionieren. Und wir hatten das Glück, dass das die erstere Variante bei uns war. Und da lernen wir auch weiter als Paar.
Ist das etwas, wovon ihr heute immer noch zehren könnt, was euch weiterhin Kraft gibt oder wo ihr gemeinsam Dinge auch gelernt habt, die ihr heute noch macht?
Ja, das ist genau der Punkt. Also, dieser zu trainierende Muskel, der ist weitergewachsen, aber hat ab und zu eine Zerrung oder ein Faserriss, eine kleine Zerrung. Das ist aber auch normal, das gehört dazu und wir haben gut gelernt damit umzugehen. Unsere Kinder im Übrigen auch. Also ich habe das ja auch zu Hause, haben wir das nie verschwiegen. Die haben mich halt auch weinen sehen und sehr weinen sehen. Und wir sprechen drüber.
War der offene Umgang in der Beziehung mit deinen Kindern der gleiche Schlüsselfaktor wie in deiner Ehe?
Ja und gleichzeitig ist natürlich eine Vater-Sohn-Beziehung anders als eine Paarbeziehung. Das ist ja eine andere Rolle, die ich da zu leben habe. Und ja, es ist auch da, wie soll ich das sagen? Das ist auch weiterhin ein Prozess, es wird auch weiterhin eine Rolle spielen, weil ich habe da einfach auch ein Bedauern, bin traurig und habe ein schlechtes Gewissen für eine gewisse Zeit nicht wirklich da gewesen zu sein. Und das macht mich auch heute noch traurig. Und es kann sogar sein, dass ich manchmal einen etwas zu starken Wunsch habe darüber zu sprechen, wo meine Kinder sagen: „Papa ist okay.” Da bin ich tatsächlich noch so ein bisschen am Tasten.
Also ist das weiterhin etwas, was ihr gemeinsam verarbeitet und was ihr für die Zukunft für euch alle mitnehmt?
Es ist auf jeden Fall nichts, was ausgeschwiegen wird und totgeschwiegen wird – für mich. Ich halte das nicht aus. Also, ich bin ja durch diese eine Tür gegangen, bewusst und klar über gewisse Dinge zu sprechen. Diese Tür, da gehe ich nicht mehr zurück. Das passiert nicht mehr. Und das ist beispielsweise auch in anderen Dingen so. Wenn ich merke, ich bin in einer körperlichen Überforderung, dann höre ich einfach auf. Koste es, was es wolle. Das ist so. Und da mache ich gute Erfahrungen mit.
Gibt es zum Schluss noch etwas, was du speziell für Angehörige oder dem Familien- und Freundeskreis von Betroffenen mitgeben möchtest oder vielleicht auch nochmal für Menschen, die noch gar keinen Berührungspunkt mit dem Thema hatten?
Ja, das erste, was mir durch den Kopf schießt, ist tatsächlich das Thema kindliche Neugier, offen zu bleiben. Und ich weiß, das ist schwer umzusetzen und das ist schwer im Gelingen für Menschen, die eine betroffene Person begleiten. Aber versuchen, die eigenen Lösungsmöglichkeiten nach hinten treten zu lassen und gemeinsam mit der Betroffenen oder dem Betroffenen so ein bisschen in die Erforschung zu gehen, was dieser Mensch braucht. Es hilft auch, wenn ich eng betroffen bin, mir selber Hilfe zu holen. Also, wenn ich selber dann Probleme damit habe, bringt das nichts, jetzt stark sein zu wollen. Das ist wichtig. Und ganz platt: Reden hilft. Das ist aus meiner Sicht ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Nicht zu hohe Ansprüche an sich zu haben.
Das war ein erster Einblick in die Erfahrungen eines Betroffenen. Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, wie der Weg dieses Betroffenen aussah und was ihm geholfen hat, schau dir gerne die weiteren Interviews hierzu an. Informiere dich außerdem gerne weiter zum Thema Depression und Burnout hier in der Mediathek, oder kontaktiere die hier hinterlegten (psychologischen) Ansprechpersonen, wenn du offene Fragen hast.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.
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