Einblicke in Verlust, Tod & Trauer

Interview
Fragst du dich, was Traueraufgaben sind? Möchtest du wissen, wie sich Trauer körperlich und psychisch anfühlen kann? Oder suchst du nach dem Verlust einer geliebten Person nach neuer Kraft und Hoffnung? Verlust, Tod und Trauer gehören unweigerlich zu unserem Leben dazu. Trotzdem werden diese Themen oft verdrängt oder tabuisiert – obwohl es eigentlich wichtig ist, hierüber zu sprechen. Aus diesem Grund erhältst du in diesem Interview mit Nikola Gazzo, Trauerberaterin für Personaler:innen und Resilienz-Coachin, einen sehr persönlichen Einblick in den Schicksalsschlag, der ihr Leben verändert hat.

Kannst du uns erklären, was Verlust und Trauer ist und wie sich das auch im Alltag zeigen kann?

Ja, also Verlust findet eigentlich im Alltag ständig statt. Man nimmt das eben nicht immer unbedingt so wahr oder macht sich nicht so viele Gedanken darüber, aber z.B. wenn die Kinder von zu Hause ausziehen, das ist auch ein Verlust. Oder wenn eine Freundin oder ein Freund umzieht, das sind ja alles Verluste. Und da sterben wir eigentlich auch alle kleine Tode. Es gibt ja diesen Spruch auf französisch: Jeder Abschied ist ein kleiner Tod. Und ich glaube man muss sich einfach ein kleines bisschen bewusster darüber werden, dass das mit uns etwas macht. Das wir das nicht jedes Mal verdrängen, wenn so etwas passiert, sondern eben den Schmerz zulassen und auch mal darüber nachdenken. Jetzt hat mir meine Freundin gerade erzählt das sie umzieht, was macht denn das mit mir? Also, natürlich gibt es da einen Schmerz und den möchte ich auch mal ausdrücken oder mir bewusst werden. Das etwas durch den Kopf gehen lassen: Was wird mir da alles fehlen und warum tut das jetzt weh? Also, das sind sozusagen so die kleinen Tode, die man im Alltag stirbt.

Es ist ganz wenig erforscht, was Trauer eigentlich ist. Also, man kennt nur den Spruch in der Trauerforschung, dass Trauer keine Krankheit ist. Das man es mal negativ definiert, also Trauer ist definitiv keine Krankheit, obwohl sich auch Krankheiten ergeben können. Also eine nicht behandelte Trauer oder eine verdrängte Trauer kann auch zu einer pathologischen Trauer werden und das kann auch z.B. zu Depressionen oder zu anderen mentalen Krankheiten führen. Und dann gibt es eben auch noch die psychischen Phänomene wenn man trauert. Also der Stress, den Trauer verursacht und das gibt es ja, also da ist man z.B. ganz nah an den posttraumatischen Belastungsstörungen – das Trauer eben so ähnlich ist wie ein Trauma und sich dadurch eben posttraumatische Belastungsstörungen ergeben, die man dann auch behandeln kann bzw. muss. Das kommt natürlich auch immer ein bisschen auf die Person drauf an. Aber Trauer ist schon was ganz spezielles, das muss man einfach sagen, weil es gibt auch eine andere Ausdrucksweise, dass Trauer eben eine Sehnsucht nach einem verlorenen Menschen ist und das das die Umkehr von der Liebe ist, die nicht mehr weiß wo sie hingeht. Also, ich habe einen Menschen geliebt und plötzlich, sende ich Liebe aus und weiß nicht wohin oder wo die hinführt diese Gefühle, Liebe, diese positiven Gefühle. Und da kann man natürlich auch Sehnsucht dazu sagen, aber es ist eigentlich eine ungehörte oder ungefühlte Liebe, die da so mitschwingt. Und das macht eben total traurig. Und das ist eine tiefe Trauer, das geht halt richtig ins Herz.

Was sind denn Symptome oder Dinge, die Trauernde empfinden – um diese Gefühle einmal greifbar zu machen?

Also, das Bild oder der Spruch über ein gebrochenes Herz ist gar nicht so falsch. Weil es gibt wirklich Schmerzen in der Herzgegend. Es hat auch ganz viel mit der Brust zu tun, man sagt auch, ich glaube im Qi Gong, wird das öfter mal so erwähnt, das der Schmerz im oberen Brustbereich sitzt und die Trauer auch dort sitzt und das man sie auch mit Übungen wie z.B. Yoga befreien kann. Insofern ist das schon etwas ganz Konkretes, also der Schmerz, der tiefen Trauer. Physische Phänomene sind eben auch Schlaflosigkeit, Konzentrationslosigkeit, Appetitlosigkeit. Das sind eben die psychosomatischen Phänomene, die auftreten, weil natürlich der Kopf oben steuert. Der Kopf ist voll mit Trauer, Sehnsucht und mit nicht ausgesandter Liebe und das schlägt einem ganz konkret auf den Magen. Die Konzentrationslosigkeit ist so eine Mischung aus dieser tiefen Traurigkeit aber auch aus der Schlaflosigkeit, also das man eben auch wirklich nicht mehr zur Ruhe kommt. Das sind diese Gedankenschlangen und -wellen, das man eben sich immer damit beschäftigt. Und ganz arg sind das bei der Trauer eben auch diese Gedankenschleifen die damit zu tun haben: Hätte ich was verändern können? Hätte ich etwas verhindern können? Das sind auch solche Gedanken, die man einfach nicht losbekommt. Oder es kommen eben immer wieder die Gedanken der Situation, also das man immer wieder daran denkt, das Telefon hat geklingelt oder die Polizei hat an der Tür geklingelt – das wird ja nicht telefonisch übermittelt – das ein:e Polizist:in vor der Tür steht und dann …. Das sind eben so Situationen. Und ich sage immer, diese Situationen prägen sich wirklich in die Festplatte rein, das ist wirklich ganz drastisch die Bilder auch und die bekommt man nur ganz schwer wieder los. Es gibt auch Übungen dafür, für diese Art von posttraumatischen Belastungsstörungen. Da lässt sich medizinisch, also nicht nur medikamentös, sondern eben auch mit Übungen dagegen steuern.

Warum würdest du sagen, dass Verlust und Trauer trotzdem zum Leben dazugehören, dass es vielleicht auch positive Seiten haben kann?

Naja das ist einfach ganz einfach: Zum Leben gehört der Tod dazu. Das sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Und wenn ich geboren werden, kriege ich den Tod mitgeliefert (lacht), es ist leider so. Und das muss man sich ab und zu vor Augen halten. Und damit können auch z.B. Kinder gut umgehen, sogar manchmal besser, weil sie noch unverbrauchter sind. Also wenn ein Kind einen toten Vogel findet oder der Hamster stirbt, dann verstehen die schon was da passiert und das das unwiderruflich ist. Das Tod etwas ist, was wirklich ein Ende ist, also zumindest ein Ende des leiblichen Lebens. Und das muss man sich schon immer mal wieder sagen. Was positiv dabei ist, wenn man sich mit dem Tod auseinandersetzt ist, das man das Leben anders sieht oder angeht oder das man anders lebt, wenn man sich vorstellt das man endlich ist. Das sind ganz große philosophische und psychologische Fragen und ich finde auch jeder sollte die sich in seinem Leben stellen – je früher desto besser. Das ist ja die Crux, das in unserer Gesellschaft so verdrängt wird, das wir endlich sind. Und wir sind endlich, das kann man nicht bestreiten, das ist einfach so. Und ich denke auch das man sich vorbereiten kann, also auf das Thema und auch auf den Tod natürlich – aber weil du das Positive so rausstellen möchtest: Wir haben uns da gestern wieder drüber unterhalten, mit einer Freundin deren Mann jetzt auch eine schlimme Diagnose erhalten hat. Sie hat das auch gesagt: Plötzlich fühlt sich das Leben ganz anders an. Sie hat das jetzt so beschrieben: Die Routine ist weg, weil es so eine Gewissheit gibt, es kann auch schlecht ausgehen. Aber plötzlich fühlt sich das Leben ganz anders an und sie hat das sehr positiv beschrieben. Also, plötzlich sehen wir uns wieder als Ehepaar, z.B. – so hat sie das beschrieben – und plötzlich genießen wir wieder unser Zusammensein, weil man plötzlich merkt es könnte ja sein, das es nicht mehr so ist. Sie hat z.B. auch beschrieben, das sie in ihrer Ehe so Aufgaben verteilt haben, so ganz organisiert. Und er hat dann zu ihr gesagt: Ich muss dir mal so ein paar Sachen zeigen, was im Garten zu tun ist (lacht), wo die Instrumente stehen und alles mögliche. Und ihr erster Reflex war: Ich will das gar nicht wissen. Warum? Natürlich, weil er davon ausgegangen ist, das es sein kann, dass er in ein paar Wochen nicht mehr ist und dann sollte sie eben wissen, was im Garten zu tun ist. Umgekehrt haben sie das dann auch ein bisschen, weil sie ist für den Hund zuständig (lacht), aber dann hat sie gesagt: Ihr könnte ja auch was passieren, sie kann ja auch jeden Tag vom Auto überfahren werden oder sonst irgendwas. Aber dann lern du jetzt auch wo die Papiere für den Hund sind, wann der geimpft werden muss, usw. Also, das ist glaube ich wirklich positiv, das man sich wieder über das Leben bewusster wird und so das Leben geniessen kann. Also, wenn die jetzt einen schönen Spaziergang zusammen machen dann geniessen die das mehr. Es ist fatal, ist natürlich ein bisschen blöd, das man eine schlimme Diagnose braucht um einen gemeinsamen Spaziergang wieder zu geniessen, aber das ist so, ob man das jetzt gut findet oder nicht. Das ist so, das man aus einer Alltagsroutine rauskommt. Viele Menschen denken ja dann plötzlich auch ganz viel über den Sinn des Lebens nach und über die Sinnhaftigkeit ihres Daseins, das sind alles sehr positive Sachen. Ich habe das in einem meinen Artikeln auch geschrieben, z.B. das Ehepaar Steiger – die Eltern von Björn Steiger – das ist ja eine sehr große Stiftung. Der Junge ist mit 8 Jahren glaube ich vom Auto angefahren worden und die Rettung kam zu spät. Also er hätte wirklich nicht sterben müssen, aber der Krankenwagen kam zu spät. Und der wäre jetzt 55 oder sowas, war also vor ungefähr 50 Jahren und da gab es noch keinen Notruf in Deutschland. Und dieses Ehepaar hat dann alles aufgegeben was die bisher gemacht haben, durch diesen Schicksalsschlag, dass sie den Jungen verloren haben und haben den Notruf eingeführt in Deutschland. Also, das ist natürlich total positiv. Da kommen auch positive Kräfte zusammen.

Total stark, dass sich daraus etwas Gutes schaffen lässt, was ja ohne diese Situation oder diesen Verlust gar nicht möglich gewesen wäre.

Egal welchen Dichter oder welche Dichterin du nimmst, egal welche:r Bildhauer oder Bildhauerin, ganz arg oft ist der innere Antrieb hierdurch sehr stark. Bach hat z.B. auch Kinder verloren und Beethoven hat Kinder verloren. Natürlich war damals die Kindersterblichkeit auch so hoch, aber die haben ja nicht weniger getrauert und die haben das dann eben in Musik umgesetzt. Oder Wilke, die ganzen schönen Gedichte von Wilke, das war alles nach dem Tod seiner Kinder. Da hat er das eben so zum Ausdruck gebracht. Und das ist schon unheimlich schön.

Was können wir von anderen Kulturen bezüglich Tod und Trauer lernen, was andere vielleicht besser machen als wir in Deutschland?

Also, wir haben das alles auch schon mal gut gemacht (lacht). Ich spreche jetzt von Deutschland, weil wir hier in Deutschland sind, also, da wurde schon viel besser mit Tod, Trauer und Sterben umgegangen. Offener, also keiner wäre im Mittelalter auf die Idee gekommen, Kinder von einer Beerdigung auszuschließen oder, dass die Kinder die Toten nicht sehen dürfen, was eine Zeit lang – es wird jetzt wieder revidiert – aber es war wirklich eine Zeit lang so, dass man gesagt hat: „Nein, nein, die Kinder sollen doch die tote Oma nicht sehen oder den verstorbenen Vater, usw.” Das wird jetzt wieder ein bisschen besser, aber es war wirklich eine Zeit schon sehr, sehr tabuisiert. Die Trauerforschung sagt, da ist eine große Distanz zu Sterben und Tod entstanden. Sich schwarz zu kleiden. Natürlich waren wir früher auch mehr eine akronyme Gesellschaft, das heißt es fand dann alles in Dörfern statt, wo man sich kannte. Es war nicht so anonymisiert, wie wir heute sind und das ganze Dorf hat natürlich Teil genommen an der Beerdigung oder wurde eingeladen, am Leichenschmaus, usw. Und die Toten wurden mit einem Pferdewagen durch das Dorf gefahren, sodass jeder auch Bescheid wusste. Die Leute sind stehen geblieben und haben den Hut gezogen. Das war eine Ehrerweisung für die gestorbenen Personen und auch eine öffentliche Geschichte natürlich. Eine Öffentlichmachung von Tod und Trauer. Und die Distanz, die wir geschaffen haben, die hängt schon auch mit der Industrialisierung zusammen, dass wir dadurch eben so ein bisschen wie Rädchen in einer großen Maschine geworden sind und da war plötzlich eben kein Platz mehr. In der Zeit, in der ich am Arbeitsplatz bin, muss ich funktionieren. Und so ist es ja heute auch immer noch. Deshalb plädiere ich ja auch so sehr, dass das Thema Trauer am Arbeitsplatz mehr angesprochen wird. Weil ich lege ja meine Trauer nicht zu Hause ab und komme ohne sie an den Arbeitsplatz. Und wenn du so nach anderen Kulturen fragst, natürlich fällt einem dann immer Lateinamerika ein, mit dem Día de Muertos, wo richtig gefeiert wird und wo Tod ganz bunt ist. Wo man sich am Friedhof trifft und große Essen veranstaltet mitten auf dem Friedhof. Da ist alles, wirklich alles bunt und da wird auch positiv über die Toten nochmal erzählt. Und es ist halt bei uns, ja da ist schon sehr viel mehr Distanz zu sowas. Und das hat es eben in unserer Kultur schon auch mal gegeben, also jetzt natürlich nicht so bunt, weil bei uns war das schon auch immer eher schwarz. Aber auch wir haben immer von 40 Tagen tiefer Trauer, akuter Trauer gesprochen und von dem Trauerjahr. Das ist auch so ein bisschen berücksichtigt worden, die ist noch in ihrem ersten Trauerjahr oder die trägt immer noch schwarz. Weil das heißt ja auch: „Geht achtsam mit mir um. Ich bin nicht ganz die Gleiche wie vorher.” Das sind alles Zeichen und Symbole um zu sagen: „Mir geht es nicht gut und nehmt Rücksicht.” Und das gibt es eben leider bei uns nicht mehr. Und wir haben eben jetzt hauptsächlich die Möglichkeit, darüber zu kommunizieren. Schwarz tragen ist jetzt nicht mehr so dieses eine Mittel, um zu sagen Geht mit mir achtsam um, sondern man muss es eben einfach kommunizieren und damit haben wir so unsere großen Schwierigkeiten, weil wir eben nicht gerne über Tod, Trauer und Sterben reden.

Bringt es denn Schwierigkeiten mit sich, nicht darüber zu reden?

Naja, das glaube ich schon. Also, wenn man nicht darüber redet, sich dem nicht bewusst ist, dann trifft es einen glaube ich umso härter, wenn dann mal etwas passiert. Das glaube ich schon. Weil dieses Verdrängen oder diese Distanz zum Tod und Sterben schließt es ja nicht aus. Es wird ja weiter gestorben (lacht). Und wenn man es nur ignoriert, dann hat man glaube ich schon große Schwierigkeiten, damit umzugehen. Und mir hat jetzt neulich eine Trauerforscherin erzählt, dass sie in Frankfurt einen Trauerumzug veranstaltet hätten, der auch ganz bunt gewesen ist. Sowas wird jetzt gemacht, dass man das Thema wieder in die Gesellschaft reinholt und das finde ich auch gut. Also, ich muss jetzt nicht irgendwie jeden Tag über Tod, Trauer und Sterben reden – wir wollen es nicht übertreiben – aber besser ein bisschen als gar nicht, auf jeden Fall.

Also, zumindest den Raum und Platz geben, den es mindestens verdient, weil es einfach zum Leben dazugehört?

Auf jeden Fall. Es ist auch so eine, z.B. ich sag jetzt mal “Unsitte” entstanden, dass man in den Todesanzeigen schreibt „Von Beileidskundgebungen möge Abstand genommen werden”. Ja, also das heißt „Sagen Sie nicht herzliches Beileid” oder „Nehmen Sie mich nicht in den Arm” oder sowas. Und das halte ich wirklich für Blödsinn. Warum sollen die ihre Beileidswünsche nicht ausdrücken dürfen? Und dahinter steckt auch wieder eine ganz große Verunsicherung. Also, ich will jetzt nicht, dass mich jemand schön in den Arm nimmt vor der ganzen Beerdigungsgesellschaft und ich jetzt in Tränen ausbreche. Aber warum denn nicht? Man muss diese Gefühle eben auch zulassen, dass es eben auch Tränen gibt. Warum denn nicht? Das ist ja auch wichtig übrigens, auch das Weinen ist ein wichtiger körperlicher Prozess, weil da kommt was raus, was innen drin steckt.

Leider kennst du dich mit dem Thema aus persönlichen Gründen sehr gut aus. Ich glaube es ist sehr wertvoll, wenn du uns einmal mitnimmst und schilderst, wie es bei dir war.

Ja, also ich … Zuerst, also wenn man die Todesnachricht bekommt, sagen ja auch die meisten Menschen, es zieht einem den Boden unter den Füßen weg. Und das ist ein ganz komisches Gefühl, das kann man auch eigentlich wirklich nicht beschreiben. Das ist wie eine Explosion, also was ganz Dolles natürlich. Und dann ist die Psyche Gottseidank so, dass die Reaktion körperlich und mental, dass wir in dem Schockzustand auch eine Distanz haben. Also ich habe immer gesagt, in den ersten Wochen ist man fast ein bisschen wie in Watte gepackt. Das nennt sich Dissoziation. Also die Psyche hilft einem, weil man das alles nicht verarbeiten kann, was so schlimm ist und sich immer wieder vorzustellen, dass mein Kind tot ist. Und die Psyche hilft einem dann, also man steht so ein bisschen neben sich, das ist wahrscheinlich der beste Ausdruck. Man steht völlig neben sich. Und die Beerdigung zu organisieren und die ganzen faktischen Dinge zu erledigen, die macht man eben auch so ein bisschen im Schockzustand. Aber gut, dass man sie machen muss, weil es hat nichts mit Ablenkung zu tun, aber das hat was damit zu tun, dass es so außergewöhnlich ist, den Sarg für sein Kind auszusuchen. Das ist sowas von krass. Und da passt das Innere zum Äußeren. Also jetzt muss ich mal in so ein Bestattungsinstitut rein, obwohl ich beim Vorbeigehen immer so ein bisschen das vermieden hab, da genauer hinzugucken. Das hat eben auch was mit dieser Verdrängung von Tod, Trauer und Sterben zu tun. Und plötzlich muss man da die Tür öffnen und muss da rein. Und der Bestatter – so war es zumindest bei mit, es gibt ja Gottseidank in der Zwischenzeit auch ganz tolle, moderne und ganz andere Bestatter – unser Bestatter hat dann eben auch so die entsprechende Miene aufgesetzt. Und ja, das sind alles außergewöhnliche Dinge in einer total extraordinären Situation. Und das kann der Kopf, der Verstand, kann das gar nicht verarbeiten. Also ist es gut, wenn man erstmal mit den ganzen Dingen so total beschäftigt ist. Und es kriegen auch alle hin. Und ich hab neulich auch mit einer Trauerfreundin gesprochen – das war so ein Punkt, wenn wir jetzt auch nochmal über die außergewöhnlichen Geschichten, die bei Bestattern oder Bestattungen passieren reden. Die meisten Kulturen, bspw. auch in der jüdischen Kultur, ist es noch total verankert, dass die Angehörigen die Verstorbenen waschen, selber waschen. Das hat man bei uns wohl früher auch gemacht. Es gab sowieso gar keine Bestatter, sondern Bestatter waren eigentlich Schreiner, die auf Särge spezialisiert waren. Alles andere wurde von der Familie gemacht. Alles andere, was man jetzt dem Bestatter delegiert: Körper waschen, anziehen, vielleicht auch schminken. Also alles, was eben zu dem Bestattungsberuf dazugehört. Das ist ziemlich viel. In der Zwischenzeit lernen Bestatter auch wie Maskenbildner. Also die Toten zu schminken oder wieder “zusammenzunähen”, weil dann natürlich auch viele Verletzungen im Gesicht sind, etc. Also es ist ein richtig komplexer und sehr spannender Beruf. Die machen auch Trauerbegleitung in der Zwischenzeit, manche Bestatter. Das geht jetzt ein bisschen zu weit. Aber, also früher hat man das alles selbst gemacht und als ich mit meiner Trauerfreundin darüber sprach, sie hat gesagt, sie hätte ihre Tochter tatsächlich selbst gewaschen. Und das war so, also unser Bestatter hat es uns gar nicht angeboten, auch ihn nicht anzukleiden. Und ich war auch ein bisschen überrascht, als er gesagt hat: „Bringen sie seine Lieblingskleidung mit.” Ich hatte wahrscheinlich noch die Idee vom Leichenhemd, aber das gibt es wahrscheinlich gar nicht mehr. Wahrscheinlich auf Wunsch schon. Aber man kleidet die Verstorbenen in ihre Lieblingsklamotten, klar. Und sie hat gesagt, sie hat so einen tollen Bestatter gehabt, der war auch ein bisschen esoterisch. Und der hat sie richtig an die Hand genommen und gesagt: „Frau XY, ich begleite Sie bei jedem Schritt.” Und dann habe ich zu ihr gesagt: „Konntest du tatsächlich deine Tochter, also war es schwer, die dann zu waschen?” Und dann hat sie gesagt: „Nikola, er hat mich begleitet, und du wächst mit deinen Aufgaben. Und ich hab das gemacht und es war alles gut.” Es wäre auch in ihrer Vorstellung schlimm gewesen, wenn ein Fremder ihre Tochter nackt sieht. Das war ihr, war eine erwachsene Tochter - und die war auch vielleicht ein bisschen schamig, würde man auf bayrisch sagen (lacht) – und sie war dann total froh, dass sie sie gewaschen hat. Und ich hab das erst nachher erfahren, dass es Bestatter gibt, die den Angehörigen erlauben, die Toten zu waschen. Das wusste ich tatsächlich nicht. Und dann habe ich mir auch oft vorgestellt: Hätte ich das gekonnt? Hätte ich Frederic waschen gekonnt? Und ich hab immer gedacht: Nein, das hätte ich wahrscheinlich nicht geschafft. Aber wer weiß? Man wächst mit seinen Aufgaben. Aber ich fand es von dem Bestatter, so wie sie es geschildert hat, wirklich toll. Da war noch eine andere Szene, die sie mir beschrieben hat: Die Tochter wurde verbrannt und der Bestatter hat dann dem Angestellten von dem Bestattungsinstitut die Urne zum Tragen zum Grab gegeben. Und da hat sie dann auch gesagt: „Nö, die will ich selber tragen.” Der hat aber gut reagiert, sie hat dann die Hände ausgestreckt und er hat sie wohl auch ein bisschen distanziert also im Abstand von seinem Körper gehalten und sie hat dann die Urne genommen und hat sie so richtig umarmt. Und ist dann so zum Grab gegangen.

Und das sind so Situationen, das ist alles unheimlich gut für den Trauerprozess. Also, dass man wirklich diese Schritte macht und auch körperlich macht, nicht nur das Tragen und das Umarmen der Urne, auch z.B. die Toten anzufassen, da habe ich auch riesengroße Skrupel gehabt. Man sagt Aussegnungshalle, das ist ein religiöser Begriff, wo der Sarg offen ist. Da gibt es einfach, bevor man die Beerdigung macht, nochmal eine Möglichkeit zum Abschied am offenen Sarg. Und da hab ich schon ganz schön Bammel davor gehabt. Und alle anderen auch, natürlich. Aber es war dann tatsächlich so, als ich meine Hand auf seine kalte Hand gelegt habe, da ist es so von meiner Hand direkt ins Herz gegangen und ich wusste, er ist tot. Und vom Herz in den Kopf. Und wenn man das nicht macht, was auch ganz oft der Fall war, dass die Polizei gesagt hat „Gucken Sie den Sohn nicht mehr an” – nach einem Fahrradunfall oder nach etwas mit ganz schweren Verletzungen. Da fehlt was im Trauerprozess. Und wir hatten auch einen, der unsere Trauergruppe geleitet hat. Sein Kind ist vor 30 Jahren gestorben. Und der Bestatter, die Polizei, alle haben gesagt: Nicht angucken. Und er sagt bis heute: „Woher soll ich denn wissen, dass er da drin war, mein Sohn?” Und das sind alles so Sachen, Gottseidank werden die wieder revidiert, im Moment. Aber das hat alles mit der Distanzierung zu tun, die da in unserer Gesellschaft passiert ist, was jetzt Tod, Trauer und Sterben anbetrifft.

Ja, und um es nochmal herzuholen das Thema am Arbeitsplatz. Es kann natürlich auch am Arbeitsplatz passieren. Wenn jemand einen Schlaganfall hat und tot umfällt im Büro. Da kann ich ja auch nicht aus der Tür rausgehen und so tun, als würde mich das nichts angehen. Da muss ja auch was getan werden. Und das muss man üben, lernen, sich damit auseinander zu setzen. Auch ein bisschen präventiv. Und wir können das, denke ich, in unsere Kultur wieder zurückholen. Es gibt auch ein schönes Buch von der Margot Käßmann (”Das zeitliche Segnen”), da beschreibt sie das auch alles nochmal, wie früher offen mit dem Tod umgegangen ist, also mit der schwarzen Kleidung und auch mit der Verabschiedung, mit den Leichenschmäusen, die man dann gehabt hat. Und mit dem offenen Umgang auch die Toten in Erinnerung zu rufen. Da ist man einfach viel, viel offener damit umgegangen. Wahrscheinlich auch, weil es natürlich öfter passiert ist. Nun ist es so, das heute nicht so viel weniger gestorben wird, als früher. Nur es wird halt in Krankenhäusern gestorben, es wird versteckt gestorben, sozusagen. Und einer der Berliner Bestatter zum Beispiel, der hat sich auch wirklich soweit engagiert, dass er, wenn Menschen im Krankenhaus liegen, und es die Möglichkeit gibt, dass gestorben werden kann (lacht), dass er schon kommt. Also dass er auch den Krankenhausabteilungen sagt: „Ich hole den Körper ab. Der kommt nicht irgendwo runter in einen Keller.” Er hat ein Praktikum bei einem Bestatter gemacht und hat gesehen, wie unwürdig mit den Verstorbenen in Krankenhäusern umgegangen wird. Ich will jetzt nicht die Krankenhäuser kritisieren. Das hat sich halt auch so eingeschlichen, diese Handhabung, dass man dann halt so schnell wie möglich das Zimmer frei macht oder das Bett in der Intensivstation muss schnell frei gemacht werden. Also Zack, weg. In eine Bodybag und runter in den Kühlraum. Das haben wir ja jetzt auch bei Covid ganz arg oft gesehen. Also, da ist der Tod wirklich in unsere Wohnzimmer gekommen, mit diesen Krankenhausszenen und der Nicht-Möglichkeit, die Toten zu verabschieden. Das war schon ganz schön heftig. Und dieser Bestatter hat gesagt: „Nein, ein Verstorbener muss von Anfang an mit Würde behandelt werden.” Und er kommt dann mit seinem Leichenwagen direkt ins Krankenhaus und holt die dann direkt aus dem Krankenzimmer oder der Intensivstation ab. Und das finde ich eine tolle Sache, dass er sich da so kümmert. Ja, das ist den Verstorben eben die Würde geben. Und, dass alles würdevoll zu Ende geht. Und das ist glaube ich auch ein ganz wichtiger Punkt für die Hinterbliebenen. Das ist auch ganz positiv. Weil du vorhin gesagt hast, was gibt es denn Positives am Sterben. Das ist auch ganz positiv. Weil dadurch Trauerprozesse positiv eingeleitet werden.

Würdest du denn auch sagen, dass Beerdigungen im Prinzip für die Lebenden sind?

Ja, natürlich. Also ich würde jetzt mal sagen: Weiß ich nicht. Weil man ja nicht weiß, wo die nichtmaterielle Seele oder das nichtmaterielle des Verstorbenen, wir wissen ja nicht, wo sie sind. Insofern denke ich, nein, es ist für alle gut. Aber natürlich muss man eben lernen, mit der Tatsache, dass eine geliebte Person verstorben ist, zumindest leiblich nicht mehr da ist. Und deshalb ist es schon, denke ich, wichtig, dass es eine Feier gibt, also um aus dem Leben zu scheiden. Also, dass es eine Zeremonie gibt, um die Person zu verabschieden. Es gibt ja in der Zwischenzeit auch Sterbeammen – das sind Personen, die wirklich beim Sterben helfen. Und ich glaube, eine Sterbeamme oder ein:e Sterbebegleiter:in hat natürlich viele Aufgaben mit den Angehörigen. Es geht nicht immer nur um den Sterbenden oder den Verstorbenen, wie auch bei einer Beerdigung. Aber bei einer Beerdigung ist ja der Verstorbene immer da. Wenn man sagt, man macht jetzt so einen Leichenschmaus, hier ist es irgendwie immer Kaffee und Kuchen, hier in Deutschland, spricht man ja auch ganz viel über den Verstorbenen. Als zum Beispiel mein Vater gestorben ist, vor 2 Jahren, da hab ich seine Assistentinnen und Mitarbeiterinnen wiedergesehen, nach 30 Jahren, nach ewig langer Zeit. Und natürlich haben wir nur über meinen Papa gesprochen. Ich habe ja mit denen auch gar kein anderes Gesprächsthema im Grunde genommen. Und es war total schön. Und es ist fast wie ein bisschen so Mosaiksteine, die sich zusammentun … Weil jeder Teilnehmer, Teilnehmerin auf einer Beerdigung hat ja ein anderes Mosaiksteinchen gemeinsam mit der verstorbenen Person. So setzt sich auch so ein Bild zusammen. Das ist auf jeden Fall schön.

Du hast in den Gesprächen, die wir im Voraus hatten, etwas gesagt, was ich total spannend finde. Und zwar, dass sich Trauer nicht überwinden lässt, sondern dass wir nur lernen können, mit der Trauer zu leben.

Ja, das kam eben auch so ein bisschen auf, in der Zeit, wo man sich von Sterben, Tod und Trauer so distanziert hat, sodass man auch gesagt hat: „Na gut, irgendwann ist dann auch mal gut.” Dass es sozusagen Trauerphasen gibt und wenn man die verschiedenen Phasen durchschritten hat, dann ist irgendwann mal ein Ende der Trauer. Und das weiß man aber auch aus der Trauerforschung. Das mit den Phasen wurde auch revidiert. Sonst müsste man ja, Phase 1, Phase 2, Phase 3, usw. – und das gibt es ja natürlich nicht. Denn in der Trauer herrscht ganz großes Gefühlswirrwarr. Zu den Phasen gehört eben die Verleumdung, Verdrängung, die Wut auf den Verstorbenen, das Verhandeln „Wieso muss mir das passieren?”, „Warum habe ich diesen Schicksalsschlag erlitten” – also dieses Hadern mit dem Schicksal „Warum gerade ich?”.

Und am Ende soll dann die letzte Phase die Akzeptanz sein. Natürlich ist ein stückweit, je länger der Todesfall her ist, desto mehr gibt es auch eine Art Akzeptanz, das stimmt schon. Aber man kann auch ganz doll Rückfälle haben und die kommen meistens so ein bisschen von Hinten durch die Brust. Ich mach mal ein Beispiel. Also Frederic ist ja in der Karibik verunglückt, auf Santa Domingo und war dann dort im Krankenhaus. Und ich spreche so ein bisschen Spanisch, also ich musste ja auch mit den Ärzten usw. verhandeln. Ich spreche natürlich viel besser Französisch, aber immerhin die medizinischen Begriffe aus dem Lateinischen, ich hab auch mal Latein gemacht, das ging also ganz gut. Und 5 Jahre später, das war vor 2 Jahren, besuche ich meinen anderen, jüngsten Sohn, der ein Sabattical in Argentinien gemacht hat. Und wir treffen uns in Chile und dann bin ich aus dem Flugzeug gestiegen in Santiago de Chile und habe mich plötzlich so beschissen gefühlt. Irgendwas war ganz, ganz schlimm. Also, wie gesagt von hinten durch die Brust. Und ich habe das gar nicht kapiert, am Anfang, was mit mir passiert. Und das war richtig wieder so eine Trauerwelle. Ich hätte mich wirklich hinstellen können und weinen. Und es war dann auch so. Ich glaube ich bin danach aufs Klo gegangen, hab da ein bisschen geweint und so. Aber ich habe es wirklich nicht ganz begriffen, wieso jetzt, in diesem Moment, ich freue mich doch so. Und das war, weil ich plötzlich dieses lateinamerikanische Spanisch gehört habe. Und das habe ich natürlich im Krankenhaus, wo Frederic lag, die ganze Zeit gehört und mich damit ja auch versucht verständlich zu machen. Das war wirklich so von Hinten durch die Brust. Also, nichts Akzeptanz und mit der Trauer fertig. Geht gar nicht. Und mit ihr zu Leben heißt, und da komme ich wieder zu der Offenheit und zur Kommunikation, heißt einfach, es auch immer mal wieder zu kommunizieren, dass ich eine trauernde Mutter bin. Oder auch diese berühmte Frage: „Wie viele Kinder haben Sie?” Das ist ja auch immer so eine Schwierigkeit. Und ich sag immer, ich habe vier. Wenn dann jemand was ganz genau wissen will, dann sag ich halt, einer ist im Himmel, einer ist verstorben. Der flapsigste Spruch, den man dann auch immer so macht, das ist: „Bist du immer noch traurig? Bist du nicht endlich fertig mit deiner Trauer?” Und dann sag ich: „Naja, Frederic ist ja immer noch tot, warum soll ich damit fertig sein.” Und mit der Trauer leben, das ist eine schwierige Aufgabe und eine lange, richtige Aufgabe. Deshalb sprechen wir in der Trauerforschung auch von Traueraufgaben und nicht mehr von Phasen. Wir haben Traueraufgaben, die sind ganz, ganz schwierig zu bewältigen. Manche weniger schwierig, aber die Meisten doch schon sehr schwierig zu bewältigen. Ja, und diese Aufgaben muss man eben bewältigen und wenn man die Aufgaben aber wahrnimmt und auch wirklich als Challenge wahrnimmt, und dann über die Hürden kommt, so halbwegs, dann kann man auch so ein bisschen stolz sein. Und dann ist man wieder, also ich war sehr froh, dass ich so peut à peut ins Leben zurückgekommen bin. Weil eine Zeit lang war ich nicht mehr in diesem Leben, also in dieser Welt schon, aber nicht in meinem Leben.

Und das, was wir jetzt eben – da komm ich auch nochmals ein bisschen auf die Covid-Situation zurück – was die Menschen, die jetzt noch nie einen schweren Verlust erlebt haben oder noch nie bewusst, sagen wir mal so. Vorhin habe ich von einer Freundin gesprochen, die umzieht. Das ist ein Verlust, aber man macht sich es nicht bewusst, dass es auch ein kleiner Tod ist, den wir sterben. Und dann hat man plötzlich Situationen, Isolation, Home-Office und die ganzen Sachen. Natürlich war das ein Verlust von unserem alten Leben. Und die meisten Leute in unserer Umgebung haben sich wirklich so hingestellt: „Ich will mein altes Leben wieder zurück haben, und zwar so schnell wie möglich.” Und haben überhaupt nicht die Aufgaben wahrgenommen, die da sind, wenn man sein Leben verändern muss. Und wenn sich das Leben plötzlich so verändert, dass ich mich den Aufgaben eben auch stellen muss, mit den Veränderungen auch irgendwie umgehen muss, also, die Meisten haben das einfach auch hingekriegt und dem dann positive Dinge abgerungen, der Corona-Situation. Und da habe ich auch gemerkt, guck mal, jetzt kämpfen die Leute da mit dem Verlust, und ich bin ganz locker, ganz easy durch Corona spaziert. Das war überhaupt gar kein Problem für mich. Das ist auch ein positiver Aspekt, wenn einem mal der Himmel auf den Kopf gefallen ist, wenn man mit schwierigen Situationen auch besser umgehen kann. Weil man diese Art von Aufgaben schon bewältigt hat. Also, diese wahnwitzige Veränderung. Eine Freundin aus Paris hat zu mir gesagt, kurz nach dem Tod von Frederic: „Das ist der erste Tag deines neuen Lebens.” Da gibt es auch einen Song dazu. Und am Anfang wollte ich das auch nicht wahrhaben. Ich will kein neues Leben. Aber mein neues Leben ist ohne Frederic. Und das sind dann die Aufgaben. Das sind dann einfach so die Aufgaben, dass man mit diesen Trauerwellen umgeht, dass man akzeptiert, das Veränderungen, auch körperliche Veränderung da statt gefunden hat. Dass man akzeptiert, dass man nicht mehr durchschlafen kann. Das sind so die Traueraufgaben. Und dass man auch lernt, also das habe ich schon auch gelernt, offen damit umzugehen. Also, auch zu kommunizieren und mich nicht zu verschließen, sondern wirklich auch offen damit umgehen. Und das habe ich natürlich auch, ganz doll hat mir da die Trauergruppe dabei geholfen, weil man da diese Offenheit auch lernt. Also, ich habe glaube ich wirklich zuerst ganz offen, also entweder mit meiner engsten Freundin natürlich und mit meiner Familie, aber sagen wir mal, so mit der Außenwelt da habe ich das in der Trauergruppe geübt. Sozusagen. Und diese Trauergruppen, die sind schon wahnsinnig wichtig. Ja, wir reden eigentlich nur über unsere Bewältigung, unsere Traueraufgaben. Und da war auch ganz arg oft eben das Thema: „Wie ist es denn bei der Arbeit? Wie ging es euch denn, als ihr wieder in den job zurückgegangen seid?” Und als ich das so links und rechts gehört habe, da hab ich mir gedacht: „Das ist doch ein Thema, da muss doch mal was passieren.” Und das ist jetzt meine Aufgabe, meine Challenge. Und wenn Frederic nicht gestorben wäre, hätte ich das nicht gemacht, das ist doch total klar. Da sind wir wieder bei der Björn-Steiger-Stiftung. Wenn der Björn nicht gestorben wäre, dann hätten wir jetzt ein paar 10 Jahre später einen Notruf gehabt. Aber nicht so schnell und nicht so konsequent. Das ist schon unglaublich, was da auch für Kräfte freiwerden. Und für mich jetzt mit dem Thema Trauer am Arbeitsplatz zu arbeiten, oder auch das Resilienz-Coaching hätte ich wahrscheinlich, auch wenn Frederic weitergelebt hätte, gemacht. Aber nicht das mit der Trauer. Weil das war bzw. sind natürlich meine persönlichen Erfahrungen, aber das war eben natürlich auch eine Aufgabe für mich, das am Arbeitsplatz irgendwie erstmal auf die Reihe zu kriegen. Also, ich gehörte zu denen, die schnell wieder an den Arbeitsplatz zurückgegangen sind. Ich glaube nach 10 Tagen nach der Beerdigung. Da gehörte das aber auch zu den Trauer-Aufgaben dazu. Meinen Kolleg:innen zu sagen: „Ich möchte darüber sprechen. Ich möchte offen damit umgehen. Frederic ist nicht einfach verpufft. Den gibt es immer noch.” Ein paar Kollegen haben ihn auch gekannt, weil er ab und zu auch mal in mein Büro gekommen ist. So offen wie möglich umzugehen. Und natürlich ist es auch unangenehm manchmal, weil so viel Verunsicherung da ist bei den Kolleg:innen, da muss man natürlich auch damit umgehen und so ein bisschen signalisieren: „Du, ich möchte darüber sprechen und wir können da offen miteinander umgehen.” Und das sind Lernprozesse in der Kommunikation. Und übrigens, ich habe fast 8 Jahre in dem Betrieb gearbeitet und in den 8 Jahren hatten wir glaube ich 9 Todesfälle. Also direkt und indirekt. Es sind auch 2 – na, also das muss man sich auch mal vor Augen halten – also z.B. meine Chefin hat ihre beiden Eltern verloren, also Mutter und Vater, in der Zeit als ich dort gearbeitet habe. Und da passiert natürlich auch was. Das sind schreckliche Sachen, weil sie unerträglich wurde. Schade, weil wenn man offener damit umgeht, dann muss man auch nicht unerträglich werden. Dann kommt die Trauer in so Seitenhieben dann irgendwo durch oder die Aggression oder die, was weiß ich, Verwirrtheit und was Trauer eben alles ist. Ich habe immer gesagt: Die Trauer, die braucht ihren Raum. Und deshalb z.B. bin ich auch wirklich gerne auf dem Friedhof. Da ist einfach der Raum. Aber wenn ich aus dem Friedhof rausgehe – und bei uns ist das wunderschön – also, man geht über eine Brücke. Das ist total symbolisch. Aber trotzdem. Es fließt kein Fluss, aber … Und ich gehe über die Brücke zum Friedhof und auch über die Brücke wieder raus. Das ist für mich so ein Gefühl: „Ach, jetzt gehst du ins Leben wieder zurück.” Deshalb denke ich, es sind auch Friedhöfe wichtig, und Besucher auf den Friedhöfen. Aber da gibt es auch alles. Das habe ich auch in meiner Trauergruppe erfahren von Eltern, die nie wieder auf den Friedhof gegangen sind, weil es wahrscheinlich zu schmerzhaft ist. Und es ist aber auch eine der Traueraufgaben, durch den Schmerz durchzugehen. Also den Schmerz auch zuzulassen. Und natürlich tut das weh, aber man fühlt sich besser danach. Und wenn man das einmal akzeptiert hat, also was ich vorhin so beschrieben habe, was mit auf dem Flughafen Santiago de Chile passiert ist. Das tat schon sehr weh, aber es war auch gut, obwohl ich nicht gleich realisiert habe, an was es eigentlich lag. Aber dann war die Welle – da spricht man von Wellen oder Gezeiten, dann ebbte das wieder ab und dann war es auch gut. Und dann – ich glaube es war auch erst dann, dass ich mit dem Verstand darüber nachgedacht habe, was hat denn das ausgelöst. Und dann kam ich auf diese Geschichte mit dem lateinamerikanischen Spanisch.

Es gibt ja viele Menschen die sagen: Wenn eine Mutter ihr Kind verliert, ist das das Schlimmste, was jemandem passieren kann. Du sagst aber, dass es total wichtig ist, bei Verlusten kein Rangfolge aufzusetzen. Wieso ist das so?

Weil es so wichtig ist, welchen Bezug der Trauernde zur verstobenen Person hatte. Also, wenn man zu mir sagt „Das ist das Schlimmste, ein Kind zu verlieren”, dann bin ich manchmal ein bisschen flapsig und antworte: „Andere Eltern bringen ihre Kinder um.” Ja, das gibt es ja auch, darf man nicht vergessen. Aber in dem Moment, weshalb mich der Satz immer so umgehauen hat, das war tatsächlich, um nochmal ein bisschen mit dem uns verunsicherten Umgang, mit trauernden Müttern oder trauernden Eltern umzugehen. Ich bin doch schon am Boden. Und wenn mir jetzt jemand sagt „Dir ist das Schlimmste passiert, was einem passieren kann” dann ist das für mich ein Nachtreten. Also, ich bin ja schon am Grund. Und dann braucht man mir nicht nochmal nachzutreten. Ich nehme die Größe deines Schmerzes wahr und es ist das Schlimmste, was einem passieren kann, und deshalb bin ich solidarisch. Na, das schwingt ja alles so ein bisschen mit, deshalb bin ich solidarisch mit dieser grässlichen Situation oder mit dem harten Schicksalsschlag, der dich da getroffen hat, oder will das natürlich sein. Aber wie gesagt, ich bin da manchmal etwas flapsig und antworte da mit diesem anderen Satz. Es gibt natürlich unterschiedliche Situationen, Beziehungen zwischen Verstorbenen und Hinterbliebenen. Und da ist die Beziehung ja so wichtig. Also, ich kann natürlich um meine Oma so trauern, wenn mich z.B. meine Oma großgezogen hat. Weil dann war die Oma die Mama. Also, eine wichtige Bezugsperson wie die Mutter. Und da gibt es natürlich alle Möglichen Varianten und deshalb denke ich, das mit dem Ranking ist eben so, das hat manchmal in unsere Trauergruppe auch ein bisschen durchgeschimmert, dass z.B. Mamas, die ihr einziges Kind verloren haben, dass es denen doch viel schlimmer geht, als uns Mamas, die wir mehrere Kinder haben. Das klingt dann fast so „Du hast ja noch Ersatz”, so in dem Sinne. Ode: Je jünger, desto schlimmer. Nö, da würde ich wirklich sagen, dass es wichtig ist: Wie war der Bezug zu der verstorbenen Person? Jetzt mal ganz unabhängig vom Alter. Es gibt vielleicht so ein bisschen, was man auch immer sagt „Die Reihenfolge stimmt dann nicht”, wenn Eltern ihre Kinder begraben. Weil die biologische Reihenfolge ist natürlich: Zuerst sterben die Großeltern, dann sterben die Eltern, dann sterbe ich irgendwann mal und dann stirbt mein Kind. Und das ist ein bisschen so ein Wunschdenken. Es wäre ja schön, wenn es so wäre. Und das ist aber einfach nicht so. Und ich glaube, das ist auch das, was ein Missverständnis ist, auch mit Ranking. Und man legt sich eben manche Dinge so zurecht, wie das Leben zu sein hat. Oder wie es ja auch in Filmen passiert oder was weiß ich. Oder in Romanen. Und dann denkt man halt, so ist es gut oder dann ist es schön. Was natürlich vollkommener Quatsch ist. Also, und deshalb ist es mir immer wichtig, zu sagen: Klar erschrickt jeder, wenn ich sage, ich habe einen Sohn verloren. Da zuckt jeder zusammen. Ist auch verständlich. Aber, für mich war das natürlich mein erstes Kind, und er ist mit 21 gestorben. Natürlich ist es die absolute Katastrophe. Aber wie gesagt, es gibt auch andere Situationen, wo es eine Katastrophe ist, wenn ein alter Mensch stirbt. Oder wenn der Hund stirbt. Das ist auch immer so eine Sache. Ich habe ja eine Hündin. Und die war so wichtig, also auch für mich, in der Trauersituation. Die ist immer mit mir auf den Friedhof gegangen. Das war so wichtig. Also, das weiß man ja auch, Tiere haben einen siebten Sinn. Und andere Leute haben halt ein Tier als Bezugsperson. Also, wie quasi einen Partner. Und wenn dann das Tier stirbt, sind die eben auch todtraurig. Und das ist doch auch okay. Und das ist ja nicht weniger oder nicht mehr. Das wollte ich damit sagen. Es kommt wirklich auf die Beziehung drauf an.

Gibt es noch etwas, was du uns zum Schluss noch mit auf den Weg geben möchtest?

Ich glaube, das Wichtigste für mich ist vor allem, hier in diesem Rahmen, dass man den Tod nicht aus der Arbeitswelt ausschließt. Dass es wirklich ein Thema sein darf. Es ist kein einfaches Thema, das gebe ich total zu. Aber ich bin da die Vermittlerin. Also, ich kann das Vermitteln. Also, das muss nicht immer schwer sein. Also, man kann auch mit Leichtigkeit über den Tod oder über Tod, Sterben und Trauer sprechen. Wir müssen jetzt nicht in das Extrem kommen, dass es so bunt ist wie in Lateinamerika. Und dass wir auf dem Friedhof feiern, sozusagen. Aber weil wir eben so viel Zeit am Arbeitsplatz verbringen, also fast das halbe Leben, wenn man so will, ist das für mich schon das wichtigste Anliegen, dass das Thema in die Arbeitswelt reindarf. Dass man es reinlässt, das Thema. Und ihm gelassen entgegen schaut. Natürlich, wenn ich sage, ich mache jetzt präventiv ein Modul Trauer am Arbeitsplatz oder Tod und Sterben am Arbeitsplatz, dass wir uns mal dem Thema so ein bisschen annähern, da brauche ich ja nicht gleich zu denken, dass übermorgen ein Kollege tot umfällt oder eine Kollegin ihr Kind verliert. Aber ich finde den Vergleich schon ganz gut mit dem Erste-Hilfe-Kurs. Und wie gesagt, in Form von einem ganz lockeren Protokoll, das ganz offen bleibt, wo viel Flexibilität drin ist, aber wo hauptsächlich sehr sehr viel Kommunikation drin steckt. Ich glaube, das ist wirklich der Dreh- und Angelpunkt. Die gute Kommunikation. Und das sollte – ist natürlich oftmals nicht der Fall – aber das sollte eigentlich in jeder Firma stattfinden. Eine gute, achtsame Kommunikation. Also, jede Führungskraft und jede:r Unternehmer:in sollte sich mal damit ein bisschen befassen. Also, erstmal mit achtsamer Kommunikation. Und da gehört das reden über Tod, Sterben und Trauer einfach mit dazu.

Das war ein sehr intimer Einblick in die Erfahrungen und Sichtweisen von Nikola Gazzo, in Bezug auf Trauer, Tod und ihren eigenen Verlust. Wenn du ebenfalls einen Menschen in deinem Leben verloren hast, oder eine dir nahestehende Person gerade unter einem Verlust leidet, wende dich gerne an die hier hinterlegten (psychologischen) Ansprechpersonen. Sie stehen dir gerne unterstützend zur Seite.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.