Der Weg aus dem Burnout: Eine Führungskraft erzählt
InterviewDie Themen Stress und Überlastung am Arbeitsplatz haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Als Folge sind auch immer mehr Menschen von dem Burnout-Syndrom (kurz: Burnout), also einem Ausgebrannt-Sein aufgrund von lang andauerndem beruflichem Stress und dauerhafter Überforderung, betroffen. Doch wie äußert sich ein Burnout und wie kann es sich anfühlen, davon betroffen zu sein? Um diese und weitere Fragen dreht sich das folgende Interview mit dem ehemaligen Manager und Vorstandsmitglied Ulf Kepper, für den sich das Leben sowie sein Beruf nach seinem Burnout gänzlich veränderte. Denn nun informiert Ulf Kepper offen über das Thema Burnout und unterstützt sowohl Führungskräfte als auch Manager:innen im Burnout in Form von Coachings, Sparring-Gesprächen und Seminaren. Dadurch kennt er zwei Perspektiven dieses Syndroms – die der betroffenen Person sowie die der Führungskraft mit viel Verantwortung, Stress und wenig Zeit.
Was würdest du den Hörer:innen und Zuschauer:innen, die denken, dass sie dieses Thema überhaupt nicht betrifft, entgegnen?
Ich glaube, der erste Impuls ist: Das habe ich auch geglaubt (lacht). Und ich glaube, das ist das spannende an der Geschichte, dass das für mich völlig überraschend kam. Für mich war dieses Thema Psychische Erkrankungen oder Burnout, darüber habe ich nie nachgedacht, war niemals in meiner Reichweite. Das hatte mit mir nichts zu tun. Und wie ich heute weiß, ist es mittlerweile natürlich für fast jeden fünften in Deutschland, der mit dem Thema in Berührung kommt. Das ist eine unglaubliche Verbreitung und trifft vor allem Leute, die gar nicht damit rechnen. Das ist eine sehr interessante Frage zum Einstieg (lacht). Rückwirkend würde ich natürlich sagen, dass ich schon Symptome bemerkt habe, aber nicht registrieren wollte. Also im Rückblick konnte ich das sehr, sehr klar erkennen, dass da schon einiges am Kochen war, aber das hätte ich sicherlich nicht in die Ecke Burnout geschoben.
Kann ein Burnout jede:n betreffen?
Ich weiß nicht. Jede:n würde ich nicht sagen, es hat schon etwas mit deiner Struktur und deiner Persönlichkeit zu tun. Und natürlich mit deinem Arbeitsumfeld, aber da kommen wir sicher nochmal hin. Es kann jeden erwischen, und vor allem die Leute, die glaube ich gar nicht damit rechnen, weil sie sehr kopfbasiert, sehr rational, sehr leistungsfokussiert, sehr verantwortungsvoll in ihren Rollen sind. Das sind gerade die Leute, die es am ehesten erwischt. Ich habe sehr oft diese Aussage von Leuten gehört, auch von Ärzten, dass das mit mir nichts zu tun hätte, also die würden sich kennen, „Ich doch nicht”, so nach dem Motto. Das ist zumindest das Überraschende für mich damals gewesen.
Gibt es noch andere klassische Verhaltensmuster, die für einen Burnout förderlich sein können?
Ja, ich glaube schon. Die klassischen Burnout-Kandidaten, das ist natürlich sehr allgemein gesprochen, aber in meinem Coaching sehe ich halt sehr viele von genau diesem Typus auch zu mir kommen. Das sind so die perfektionistisch veranlagten Menschen, die Leute, die eigentlich keine Fehler machen können, weil sie dann sofort in ihrem Selbstwert, der sehr gering ist in der Regel, erschüttert werden. Das sind Leute, die sich sehr gut um Details kümmern können, man nennt sie in unserer Welt auch Micro-Manager-Typen, war ich auch damals. Also alles im Detail im Griff haben, Kontrolle haben über alles. Das ist so der Typus. Und jemand, der ich auch damals massiv war, da gibt es den Begriff Anerkennungs-Junkie. Also Leute, die sehr stark davon leben, dass andere ihnen auf die Schulter klopfen. Und wenn das ausbleibt, dann fehlt ihnen was. Weil eben wie gesagt der Selbstwert relativ gering ist. Also Leute, die sich so in diesem Muster wiedererkennen, die sind zumindest mal etwas gefährdeter als andere. Ein ganz wichtiges Thema ist noch das Thema Abgrenzung: Leute, die sich sehr schlecht abgrenzen können, d.h. Nein sagen können. Die, wenn der Chef kommt, immer sagen: „Ja, gib her“. Das war ich auch (lacht). Diese Leute sind natürlich auch ganz schnell in der Überforderung.
Kannst du uns in deinen Alltag im Jahr 2011 mitnehmen und erzählen, wie dein Leben so ausgesehen hat?
Ja, also 2011 war ja der Zeitpunkt, auf den du dich beziehst, wo ich meinen ersten – ich hatte auch nur einen – Burnout hatte. Aber der Moment, an dem sich vieles verändert hat, war 2011. Zu dem Zeitpunkt war ich verantwortlich in unserem Unternehmen, ich würde mal sagen, für 250 Leute. Ich war verantwortlich für eine weltweite Organisation im Bereich Marketing, Services. Also ich glaube, das Leben, das ich da geführt habe, ist gar nicht so anders, als das viele heute auch kennen. Den ganzen Tag in Meetings, oder in Konferenzen – damals hat man sich noch zu Meetings getroffen (lacht), heute sitzt man am Bildschirm. Getrieben durch Termine, getrieben durch ein volles E-Mail-Postfach, ich glaube, das ist ganz klassisch: Die To-Do-Listen sind so voll, wie es nur geht. Und du gehst in ein Meeting rein und kommst mit noch 3 To-Dos wieder raus. Also dieses Gefühl der Fremdbestimmung würde ich schon sagen, da war das schon so. Und das geht, glaube ich, ganz vielen Menschen heute so, die in Unternehmen oder auch öffentlichen Organisationen arbeiten, dass sie sich in so einem Hamsterrad, würde ich das heute nennen, bewegen. Diese Begrifflichkeit hätte ich damals niemals verwendet, aber so dieses Thema fremdgesteuert zu sein. Das Gefühl: Ich gehe morgens da hin, und dann läuft der Film irgendwie von selbst ab (lacht). Ich muss da von einem Meeting ins andere. Das ist das, was wahrscheinlich ganz viele haben. Bei mir war es sicherlich noch in der Phase, sicherlich noch eine Zusatzbelastung, dass ich eben eine Management-Position hatte, also global unterwegs war, viel gereist bin, Jetlag kommt dazu. Also das sind dann schon ein paar zusätzliche Komponenten, wenn man dann auch noch so wenig darauf achtet, wie es einem geht und welche Energie man gerade hat, dann macht man Dinge, die auch über dieses Ziel hinausschießen. Ein Beispiel für mich ist immer, als ich damals morgens aus Amerika zurückkam von einer Dienstreise und direkt mit der Sporttasche in die Sporthalle zum Tischtennisspielen gefahren bin, als ich damals eben noch Verbandsspiele im Tischtennis gemacht habe. Mit einem Jetlag. Also ich weiß nicht, wer schon mal morgens aus dem Flieger gestiegen ist, aber es geht dir da echt nicht so gut. Und dann direkt in die Halle – das ist ja die Erwartungshaltung. Ich kann das auch, also dieses sich überfordern, das war damals für mich ganz normal. Und das Gefühl ich kann das, ich hab die Energie, meine Energie ist unbegrenzt – es war präsent. Und das würde ich im Rückblick auch jedem mitgeben, der da in so einer Situation ist und sagt: „Ich kann das, oh ich bin müde, aber das halt ich schon durch, muss ich ja”. Das war einer der großen Fehler, der Schwachpunkte in meinem Leben damals, dass ich da garnicht drauf geachtet habe: Wie geht’s mir überhaupt? – weil ich das auch gar nicht mehr wusste. Ich wusste gar nicht, ob ich eigentlich noch Energie dafür habe, in die Halle zu gehen? Ich habe zwar nicht gut gespielt, aber ich habe es durchgehalten – na toll. Um nach dem Spiel dann möglichst gleich noch ins Kino zu gehen oder was anderes zu machen. Dieser Modus, 120 % in allem, auch in der Freizeit, im Hobby, das war so mein Leben damals. Und da würde ich heute jede:n darauf hinweisen, dass er bzw. sie da aufpassen darf.
Heißt das, dass du dich zu der Zeit nie bewusst gefragt hast, wie es dir eigentlich geht?
Absolut. Absolut. War ja kein Thema, wozu auch? Es geht ja nicht darum. Es geht ja darum, was die anderen von mir denken, dass ich meine Leistung bringe, dass ich meine Ziele erreiche. Das meine ich ja auch mit diesem Gefühl der Fremdsteuerung, dass du irgendwann zu einem Zeitpunkt – und wie gesagt, das war für mich so, das gilt jetzt nicht für jeden – aber irgendwann habe ich den Punkt erreicht, wo ich nicht mehr drüber nachgedacht habe. Auch nicht, wie es mir geht, auch nicht, ob ich eigentlich glücklich und zufrieden bin mit dem Leben, was ich da führe. Es gab ja andere Dinge zu tun. Insofern ist das so ein Moment – das erlebe ich auch im Coaching, dass Leute davon berichten, dass sie eigentlich gar nicht zufrieden oder glücklich sind mit ihrem Leben, und sich fragen: Warum eigentlich? Denn sie haben doch alles, einen guten Job, meistens auch eine Familie, genug Geld mittlerweile. Und das passt alles irgendwie zusammen, aber das Leben fühlt sich nicht so an, als ob es perfekt ist. Obwohl es das eigentlich sein könnte. Und das sind so die Warnsignale, die ich heute rückwirkend bei mir festgestellt habe, dass diese Dinge eben da waren.
Wie hat sich dieser Augenblick angefühlt, als du sozusagen in diesem Hamsterrad gesteckt hast? Wann hast du gemerkt, dass sich etwas nicht richtig anfühlt oder nicht stimmt?
Ja, das schon, also bei mir war das schon ein Stichtag, sozusagen. Es war ein Event. Das war jetzt nicht so ein schleichender Übergang. Bei mir war das ein Schlag. Ich bin aus den USA zurückgekommen und hatte eine ganze Woche lang Meetings in den USA. Hatte auch ein sehr belastendes Meeting am Ende mit jemandem, das war sehr persönlich und anstrengend. Ich bin in den Flieger gestiegen und nach Hause geflogen, hatte am Wochenende wahrscheinlich auch wieder irgendwelche Sportevents am Laufen, habe Kinder betreut – ich weiß es nicht mehr. Und am Montagmorgen hatte ich ein Meeting, was ich ganz schlecht vorbereitet hatte. Und ich wachte morgens am Montag auf und mir war hundeübel. Ich kam fast nicht aus dem Bett raus, mir war schwindelig, also es war so ein klassisches: Was habe ich mir jetzt eingefangen? Magen-Darm? Ich bin dann natürlich ins Büro, logisch, man bleibt ja nicht daheim, ich habe ja ein Meeting heute. Und mir ging es den ganzen Tag dreckig. Ich wollte am Mittwoch dann nach Indien fliegen und wusste: Mensch, wenn es dir nicht gut geht, musst du das noch rausfinden. Ich bin dann abends noch zum Arzt, Blutbild gemacht, er hat relativ schnell reagiert: „Alles in Ordnung, du kannst fliegen.” Na gut, dann ging’s los. Also, das war für mich damals natürlich unklar, mir geht’s halt nicht gut, aber das war der Auslöser. Da ging es los. Das war der Mai 2011. Und dann habe ich 5 Monate lang noch gekämpft. Und diese Phase, die jetzt kommt, ist quasi für mich heute recht eindeutig als der Stichtag zu sehen, da ging’s los. Und dann im Prinzip, dann ging so die zweite Eskalationsphase los. Bis dahin hatte ich ja keine Probleme, bis dahin war ja alles ok. Und um das mal kurz zu beschreiben, das war schon so, diese Phase war dann schon sehr sichtbar. Da hatte ich dann auf einmal jeden Morgen oder jeden Moment das Gefühl, ich muss in mich hineinhorchen: Wie geht’s mir denn gerade? Denn jetzt auf einmal war der Körper so präsent mit seinen Schmerzen, die jetzt da waren, dass man dann anfing, hinzuhören: Was zwickt da? Wo kommt das her? Und dann wurden mir auch so die Dinge bewusst, wie dass sich ständig im Kopf Gedanken kreisen, das kennen glaube ich auch viele, dass man gar nicht mehr zu Ruhe kommt, dass man meistens über die Arbeit und über Probleme nachdenkt, nie wirklich nur Ruhe im Kopf (so nenne ich das ganz gerne) hatte. Also mal dieses Abschalten, Augen zu und dann kommst du zur Ruhe – das gab es gar nicht. Und dann kamen halt die Schlafprobleme dazu. Und das ist auch für mich heute auch immer so der große Indikator, dass es jetzt wirklich eng wird. Bis dahin fühlt es sich so an: Naja, geht nicht so gut, ich muss was tun, aufpassen. Aber wenn die Schlafprobleme dazukommen, dann geht dir ganz schnell die Energie aus. Und dann bin ich so zugesteuert auf die nächste Stufe, genau.
Sind die Symptome, die du gerade beschreibst, denn so klassische Symptome, die andere Betroffene auch haben?
Das glaube ich gar nicht mal. Das Thema Übelkeit war bei mir super präsent. Das ist halt bei mir so ein Schwachpunkt gewesen, der halt mal ausbricht. Da hat aber jeder andere: Es gibt Rückenschmerzen, ganz viele Kopfschmerzen, Schwäche, das Thema Unkonzentriertheit, manche treiben sich mit Mühe aus dem Bett oder zur Arbeit, also es ist alles ein Riesenaufwand. Und das ist alles noch in der Phase vor einem wirklichen Zusammenbruch. Das ist alles, noch dieses kämpfen und vor allem nicht wahrhaben wollen. Das ist ja in der Phase, zumindest bei mir, ein einziger Kampf gegen das kann doch nicht sein, das muss ja was Körperliches sein, gewesen. Bis zu dem Zeitpunkt hat es ja noch nicht diesen Stellenwert erreicht: Oh verdammt, ich glaub da stimmt was grundsätzlich nicht. Sondern da guckt man ja nach dem Problem, dem technischen Fehler im System, wie kann man das mit Medikamenten möglichst schnell lösen und weitermachen. Das war für mich eindeutig damals die Zielsetzung. Nicht reingucken, was ist da los, sondern löst das Problem. Ich bin ja Manager, also das Problem muss gelöst werden. Zu dem Zeitpunkt war das noch so. Aber es fing dann schon so langsam an zu wackeln, weil wenn du nachts nicht mehr schläfst, dann kommen auf einmal Gedanken, die du so noch nicht hattest. Dann wird es auf einmal psychisch, wenn man so will.
Wann war denn dann das erste Mal in diesem ganzen Verlauf, dass das Wort Burnout fiel?
Burnout ist nie gefallen. Das ist dann später erst so ein Begriff, den man sich – muss man ehrlicherweise sagen – zurecht gelegt hat. Weil er ja so schön sozial kompatibel ist. Naja, also Burnout ist ja eine Begrifflichkeit, die es ja in der ärztlichen Nomenklatur gar nicht wirklich gibt. So langsam bekommt der Begriff einen Stellenwert, aber so richtig eine Krankheit ist es ja nach wie vor nicht. Auch im letzten Verzeichnis ist es immer noch nicht so richtig als Krankheit anerkannt. Aber es ist ja auch egal. Das Thema Burnout, Depression oder psychische Erkrankung war auch sehr lange in dieser Phase noch nicht wirklich akzeptiert. Wie soll ich das beschreiben. Also ich bin von Arzt zu Arzt gerannt – ich glaub, das kennen auch viele. Sie versuchen erstmal herauszufinden, was ist. Die Ärzte haben nichts gefunden. Das ist auch sehr gewöhnlich, dass das eben passiert. Und dann war ich bei einer HNO-Ärztin, und sie hatte auf diesem Gebiet offensichtlich schon sehr viel Erfahrung. Sie war auch homöopathisch unterwegs. Sie hat mich angeguckt und wusste sofort, was los ist. Wenn du in dem Thema unterwegs bist, dann siehst du das. Und das werfe ich auch heute vielen Ärzten vor, klassischen ausgebildeten Ärzten, dass sie dafür einfach noch kein Auge haben. Ich bin durch die Mühle von vielen schulmedizinisch ausgebildeten Leuten gegangen, die das nicht erkannt haben. Und die das hätten wissen können. Also meiner Meinung nach müsste man das heute wissen. Diese HNO-Ärztin war eben wie gesagt geschult. Und ich war mir nach wie vor sicher – sie hat mir so homöopathische Kügelchen gegeben – so nach dem vermeintlichen „die können ja nichts tun, die Dinger”. Und ich sage heute, die Dinger haben mich umgehauen. Ich bin dann also wirklich in so eine Phase reingekommen, wo ich nur noch auf der Couch lag. Da würde ich sagen, ich habe das so langsam angefangen zu akzeptieren, dass da ein anderer Prozess läuft, als irgendwie was Körperliches. Und das hat dann noch ein paar Monate gedauert, ich bin noch in den Urlaub gefahren, nach dem Motto jetzt gehen wir nochmal schön in Urlaub und erholen uns nochmal richtig gut. Und das ist dann meistens so die schlimmste Phase, die dann so passiert, wenn du dann noch den Urlaub einbaust, die vermeintliche Entspannung, dann stürzt der Körper eben sehr häufig ab. Und das ist auch bei mir passiert. Es war dann November mittlerweile, dass ich dann wirklich zusammengebrochen bin. Und dann war es sehr offensichtlich, dass ich in eine psychische Erkrankung eingelaufen bin. Es wurde dann diagnostiziert mit einer mittelschweren Depression. Und das war dann so. Es war zwar nach wie vor für mich nicht akzeptabel. Aber es war dann so. Und das konnte ich dann nicht mehr wegschieben.
War das dann der Augenblick, in dem du dich selbst überzeugen musstest, dass das ein tiefgreifendes Problem und nicht mit einer kurzen Krankschreibung vom Tisch ist?
Ja, ich glaube, der Übergang war das Schlimmste und Schwerste im ganzen Prozess. Also dieses Akzeptieren, dass das jetzt in diese Richtung geht. Bis dahin versuchst du das, mit Händen und Füßen zu verteidigen, dieses alte Bild. Ich würde heute sagen, dass es sehr hilfreich und auch gut war, dass ich diesen Zusammenbruch erlebt habe. Weil dann war es klar. Da gab es nichts mehr zu diskutieren. Bis dahin hätte ich vielleicht immer wieder noch eine Kurve gekriegt und gesagt: Naja hier, komm, nimm dieses Medikament, nimm dieses Antidepressivum, das ist aber trotzdem keine Depression. Irgendwie hätte man es schon hingeschoben. Aber mit diesem Zusammenbruch war es klar, ich bin krank. Ich hätte auch – glücklicherweise, das kommt alles da ganz gut zusammen – am Montag nach dem Urlaub mit meinem Chef in die USA fliegen sollen. Und es ging einfach nicht, das war klar. Also musste ich ihn anrufen. Hätte ich am Montag ganz normal einen Bürotag gehabt, wer weiß, was ich da noch hin getrickst hätte. Vielleicht hätte ich mir working from home today sozusagen hingebogen (lacht). Aber es war glücklicherweise eben nicht möglich. Ich musste meinen Chef anrufen und sagen: „Es geht gar nicht.” Und er hat sofort kapiert, was los ist. Er hat gesagt: „Du bleibst erstmal daheim, und wir gucken mal, wo es hingeht.” Sofern war dieser Übergang, zu erklären mir geht es gerade nicht gut, war nicht zu vermeiden. Es war aus dem Zusammenbruch nicht anders zu machen. Da bin ich sehr dankbar dafür, dass mir diese Entscheidung irgendwie abgenommen wurde. Und was ich heute im Nachhinein auch immer wieder sagen will: Der Burnout, wenn er in dieser Vehemenz dann passiert, ein Zusammenbruch, ist im Prinzip die echte Lösung für das Problem, obwohl es nicht lustig ist. Und es ist wirklich eine schlimme Sache, aber es ist dann dieser Entscheidungsfaktor, der dich über diesen Punkt bringt, den du nicht bereit bist zu überwinden. Dafür war ich dann schon sehr dankbar.
Es ist auch total schockierend zu hören, wie man das sich selbst vorhalten muss, also sich selber auch dazu überzeugen oder überzeugen lassen muss, dass man sich die Ruhe gönnen muss, dass man aufpassen muss. Und obwohl ja in dieser Phase klar war, dass nichts so richtig in Ordnung ist, dass man trotzdem sich davon überzeugen (lassen) muss, dass es einem nicht gut geht. Und dass man wirklich was ernsthaftes hat, an dem man arbeiten muss.
Ich glaube, das ist auch das Schwierige in meiner Coaching-Praxis. Dass du im Prinzip Leute vor dir hast, von denen du weißt, die rennen mit Volldampf auf diese Eskalation zu. Aber du kannst nichts machen. Denn – so sagt man ja so schön – Veränderungen kommen nur durch Leid oder Schmerz. Wirkliche Veränderungen kommen nicht dadurch, dass du in der Regel Erkenntnisgewinn hast, also dass dir jemand erklärt: „Junge oder Mädel pass auf, es läuft nicht gut, tu was.” Da habe ich nur sehr wenige gesehen, die so reflektiert oder so sehr bei sich sind, dass sie das erkennen und dann auch handeln können. Insofern ist es schon sehr, sehr schwierig, Leute, die in so eine Phase reinrutschen, davon zu überzeugen, dass sie die Bremse ziehen müssen.
Wie hat denn deine Familie generell darauf reagiert?
Das Umfeld war, würde ich sagen, nahezu perfekt. Wie gesagt, die Firma hat sehr, sehr positiv reagiert. Mein Chef hat sehr schnell erkannt, da gab es überhaupt keinen Druck, der da aufgebaut wurde. Das ist ja auch immer so. Also wenn Leute mit so etwas nach Hause gehen, dann gibt es ja auch von der vorgesetzten Seite dann irgendwie Druck oder solche Sätze wie bleib du mal 2 Wochen daheim, aber dann brauchen wir dich hier wieder. Also sowas kommt natürlich auch gern – das war alles nicht der Fall. Es wurde schon erkannt, dass ich mich überfordert hatte. Mein Chef hat auch im Nachhinein gesagt: „Das war ja klar, das konnte man sehen. Du bist ja auch so wie eine Maschine durch das Leben durch gepfercht (lacht).” Also das war für ihn schon irgendwie so: Was macht denn der da? Auf der einen Seite war das vielleicht für andere sichtbar, dass es eigentlich gar nicht geht, was ich da mache, aber er war auch sehr schnell bereit, das dann zu akzeptieren. Ob er es wirklich verstanden hat, was da vor sich geht, weiß ich nicht. Es ist auch schwer, das zu erwarten, aber er hat sehr positiv reagiert. Meine Familie selbst, klar, meine Frau war eine der größten Stützen im ganzen Prozess. Die Kinder haben das noch gar nicht so realisiert. Ich war ja 5 Monate zu Hause, das war für die dann irgendwie: Ja, der ist halt daheim. Keine Ahnung. Also das haben wir dann auch so geschafft, dass das relativ bald vorbei ging. Und du bist ja krank, du bist ja daheim. Du setzt dich jetzt nicht permanent irgendwelchen Diskussionen aus und erfährst, was die Nachbarn denken. Das kriegst du dann später mit, dass mal geredet wird: „Oh, der ist ja daheim, was ist da los.” Aber das hat mich damals gar nicht so sehr belastet. Wohl aber glaube ich, dass eine der entscheidenden Veränderungen war, dass ich dieses Bild von mir, was ich hatte, und was alle anderen von mir hatten. Ich habe ja da ein sehr schönes Bild von mir aufgebaut – der perfekt funktionierende Manager und immer in Kontrolle und alles im Griff, würde ich sagen. Ja, dieses Bild des Perfekten, das hat schon ganz gut funktioniert, das aufzubauen. Und dieses Bild brach ja jetzt zusammen. Und das war sowohl für mich, als auch für das Umfeld eine ziemliche Überraschung. Für mich war das ein großer Schmerz, dass ich das Bild nicht aufrechterhalten konnte, denn es war ja offensichtlich geworden, dass ich in dem Sinne nicht perfekt funktioniere – witziges Wort heute (lacht). Aber auch für die anderen, die nie geglaubt hätten, dass dieser Verlust dieses Anspruches und dieses Bild aufrechtzuerhalten, das war ein riesiger Schmerz für mich, das zuzulassen. Und ich glaube, mit dem Moment, wo das klar war, dass das nicht zu halten ist, dieses Scheinbild von mir, was ich eigentlich immer sein wollte, wurde mir eine ganz große Last von den Schultern genommen. Denn dieses Bild zu projizieren, darzustellen, diese Rolle zu spielen (wenn du es so willst), das machen ja viele, das kostet ja enorme Energie. Das hat sicherlich dazu beigetragen, dass ich in den Burnout gerannt bin, weil ich so ein Bild von mir gezeichnet habe und das aufrechterhalten musste. Diese Kraft war dann irgendwann erschöpft. Das würde ich heute so beschreiben, dass der Energieaufwand, um diese Rolle darzustellen und diese Dinge zu tun, die ich gar nicht tun wollte, so enorm war, dass irgendwann das System gesagt hat: Jetzt reicht’s.
Wenn du jetzt zurückblickst, hättest du dir etwas von dir selbst gewünscht, damit es gar nicht dazu kommt, dass du dieses sehr idealistische Selbstbild überhaupt aufbaust?
Puh, das ist eine schwierige Frage. Ich glaube nicht. Ich glaube, dass ich in meiner Struktur, in meinem Werdegang gar nicht mal so viele Möglichkeiten damals hatte. Also ich glaube, ganz viel hängt ja in deiner Persönlichkeitsstruktur – habe ich ja schon gesagt – und das hängt wiederum ganz stark in deiner Prägung: Wo kommst du her? Mit welcher kindlichen Prägung bist du aufgewachsen? Also deine Glaubenssätze, vielleicht hast du den Begriff schon mal gehört. Zum Beispiel dieses Anerkennungsding, was ich da beschrieben habe, vorhin, ist ja einer dieser Glaubenssätze. Also, dass du ganz stark davon abhängig bist, dass andere dich wertschätzen und dir sagen, wie toll du bist. Das wurde schon in der Kindheit geprägt. Und solche Entwicklungen sind ja schon von langer Hand vorbereitet. Also, dein Film, wie man dann so schön sagt, der läuft ja schon ab, seit du 3 oder 6 Jahre alt bist. Insofern kannst du, wenn du da nicht ganz bewusst bist und ganz genau hinguckst schon früh, gar nicht so gut eingreifen. Das läuft ab. Du performst quasi entlang dieser vorprogrammierten Wege. Es hat was fatalistisches finde ich (lacht), aber es ist tatsächlich so, sodass ich eigentlich nur sagen kann, und das ist glaube ich auch meine Aufgabe hier, heute – also, generell jetzt in meinem neuen Leben sage ich – Leute darauf hinzuweisen, dass sie eine Chance haben, frühzeitig hinzugucken und vielleicht Symptome, die ich beschreibe, bei sich zu erkennen. Und dass sie erkennen, dass der Weg gar nicht so weit ist von dem, wo sie jetzt sind, zu dem, wo ich dann auch hin musste. Und wer da in der Lage ist, auch wirklich genauer hinzugucken, und sich vielleicht auch Hilfe zu holen, mal dahinter zu gucken, was passiert da eigentlich, was läuft da ab. Die können es glaube ich schon schaffen, da nochmal die Kurve zu erwischen. Aber für mich, ich könnte nicht sagen, dass ich das hätte vermeiden können. Und das sollte auch so sein, das ist heute auch eine Überzeugung von mir, dass dieser Burnout sein musste, um mich genau dahin zu bringen, wo ich heute bin. Diese Erfahrung zu machen, dass wir heute hier sitzen, ist ja auch nur deswegen der Fall, weil ich durch diese Krise musste. Insofern denke ich mir, das sollte so sein.
Wo kommt dieses Anerkennungsbedürfnis her? War das Teil deines Genesungsprozesses, dir genau solche Fragen zu stellen?
Ja, natürlich. Wenn du in so eine Phase rutschst, dann kann ich nur jedem wirklich dringend empfehlen, das nicht alleine zu versuchen. Wer glaubt, dass er bzw. sie das ohne ärztliche Hilfe oder therapeutische Hilfe hinkriegt, also, das – meiner Meinung nach – auch alle Leute, mit denen ich darüber rede sagen: „Das kannst du nicht schaffen.” Du bist in einem so desolaten Zustand, dass du die Chance auch ergreifen musst, dann such dir Hilfe. Ist schwierig heute, weiß ich. Gerade, was das Thema Therapeut:innen angeht, ganz ganz schwer, weil es einfach viel zu viele gibt, die diesen Bedarf haben. Wie auch immer, es gibt immer Wege, also es funktioniert letztlich. Und das ist Teil der Therapie. Also die Leute, die mit dir dann arbeiten, die gehen natürlich unterschiedlich an so ein Thema ran. Aber die gucken alle hinter die Fassade, die gucken hinter deine Abläufe, was sind deine Glaubenssätze – je nach Art von Therapie, ob es eine Verhaltenstherapie ist oder eine tiefenpsychologische Behandlung ist oder auch sonstige Dinge, die angeboten werden. Alle gehen aber mal dahin, um zu gucken, was du da eigentlich machst. Und dann ist es eben die Frage, wie schnell und wie tiefgreifend diese Art von Therapien wirkt. Ganz häufig hörst du natürlich: „Ja gut, ich war in einer Klinik 4 Wochen, dann war ich wieder draußen und hab weitergearbeitet, dann ging es mir wieder ok. Ich hatte Medikamente, etc..” Da würde ich sagen, das hat noch nicht gereicht (lacht), wenn du da nur relativ oberflächlich an sowas rangehst und nicht grundlegende Veränderungen einleitest. Dann wird das passieren, was eben 80 % der Leute passiert, die einen Rückfall erleiden. Also sofern ist es schon auch die Frage, wie sehr du akzeptieren kannst, dass da was zu ändern ist. Und das ist mir sicherlich zu einem guten Teil gelungen, aber nicht vollends. Weil 2011 bin ich ausgefallen. 5 Monate später bin ich wieder zurückgegangen in den gleichen Job und habe genau das gleiche weitergemacht. Mit dem Gefühl, ich habe viel gelernt und es hat sich ganz viel geändert, aber so war’s halt nicht. Aber erstmal war’s gut.
Wie hast du den Knackpunkt erreicht, an dem du gemerkt hast: Das ist es nicht und ich muss etwas verändern?
Also ich geh da mal ein Stück zurück. Ich gehe nochmal in diese Phase, als ich wiederkam. Ich glaube, einer der großen Nutzen dieser Phase ist, dass du eben – ich nenne es heute mal die Hosen runterlassen musst. Also hast du im Prinzip gezeigt, dass du auch nur ein Mensch bist. Das klingt jetzt ziemlich abgehoben, ist aber genauso. Also du hast Schwächen, wenn man das eine Schwäche nennen will, aber du zeigst in dem System heute eine Schwäche, und kommst wieder zurück. Das heißt, der Weg zurück war überraschenderweise gar nicht so schwer, weil dieses Gefühl alle wissen, was mir passiert ist war sowieso da. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich jetzt in das Umfeld zurückkomme und erklären müsste, was da los war. Das war irgendwie klar. Das ist mir bewusst geworden, das habe ich irgendwie aus E-Mails herausgelesen, also wussten alle das. Und das war sehr schmerzhaft, diese Erkenntnis am Anfang, aber dann war es auch gut. Wie ich schon gesagt habe, war dieser Druck auch ein ganz anderer, als ich dann auch zurückkam. Ich bin schon zurück gekommen mit einer ganz anderen Grundeinstellung. Und ich habe ja auch einen Blog gelesen, der heißt Eine bessere Führungskraft durch Burnout. Das ist auch wirklich passiert, also ich habe ganz viele Verhaltensmuster (Micromanagement, Vertrauen können, ein Stück Perfektionismus), davon konnte ich schon einiges ablegen. Und das macht dich automatisch auch zu einer besseren Führungskraft, aber auch zu einem besseren Mitarbeiter, wenn du so ein paar von diesen Glaubenssätzen verändern konntest. Nicht in aller Tiefe, der Perfektionismus ist heute noch da, aber nicht mehr in dieser ganz schädlichen Form, würde ich es mal nennen. Also, da hat sich schon sehr viel verändert. Auch mein Tagesrhythmus hat sich sehr viel verändert. Ein Beispiel dazu: Ich hatte ein Coaching, ich habe bei einigen Coachings immer dieses Gefühl naja so richtig rund läuft die Kiste nicht, aber ich weiß nicht, was es ist. Und habe da immer mal wieder so Seminare und Coachings besucht. Der eine Coach sagte zu mir, du solltest mal mit Meditation anfangen. Du brauchst nur 20 Minuten, das reicht am Tag. Und ich weiß es noch wie heute, dass ich damals gedacht habe: Was soll das? Wie soll ich morgens 20 Minuten da ausschwitzen? Das geht nicht, ich hab die Zeit nicht. Gut. Danach, nach dem Burnout, hatte ich dann morgens eine Stunde mehr Zeit. Weil ich wusste, morgens muss ich jetzt dafür sorgen, dass ich erstmal gut reinkomme und habe morgens immer meditiert – mache ich heute noch. Was ich damit sagen will ist: Die Erkenntnis, dass man so etwas Offensichtliches – wie heute für mich Meditation – damals überhaupt nicht akzeptieren konnte. Und wie naheliegend es nach so einem Burnout eigentlich wurde, zeigt nur, wie groß dieser Abstand ist, zwischen vorher und nachher. Gut, ich hab schon einiges verändert, in der Zeit, als ich zurückkam, z.B. war ich dann zurückgekommen und hab erstmal nur im Büro gesessen und habe die Leute machen lassen. Das habe ich nie gemacht. Ich habe nie einfach meine Mitarbeiter das machen lassen, was sie machen sollten. Sondern ich war immer sofort dabei: Was machst du? Wie geht das? Kann ich helfen? Zack zack. Da hatte ich dann irgendwie so dieses Gefühl gehabt, jetzt war ich 5 Monate weg, es lief doch. Und es ist auch gelaufen, das mache ich jetzt einfach so weiter. Ich setze mich ins Büro und warte mal, bis jemand kommt und was will. Und diese Art von Wechsel hat mir auch sehr gut getan, dieses Weg vom Micromanager hin zur, ich nenne es mal, Grauer Eminenz. War damals schon ein bisschen grauhaariger (lacht), das hat mir sehr gutgetan. Also nicht mehr jeden Tag das Detail zu beherrschen, sondern meine Erfahrung und meine Fußkompetenz einzusetzen. Solche Wechsel sind passiert. Es sind dann noch die nächsten 7 Jahre, die ich dann noch im Job war, die mir auch sehr, sehr gut getan haben. Aber, du hast schon auch gesagt, diese Grundmuster, diese wirklich tiefe Verkabelung, die da noch da war, irgendwann kam das dann doch wieder hoch. Tatsächlich kommst du dann immer mehr in deine alte Schiene zurück und dann kommt es vielleicht wieder zu einer Phase 2.
Und wie sah diese 2. Phase, die du gerade genannt hast, dann aus?
Sagen wir mal so, ich habe ganz oft die Frage bekommen: „Und, bist du wieder der Alte?” Und die Antwort war dann immer: „Ne, eigentlich nicht, und das ist auch gut so.” Also was ich schon bemerkt habe ist, dass ich lange nicht mehr so leistungsfähig war. Also dieses Gefühl, ich habe unendliche Energie, ich kann alles wegkloppen. Wie gesagt, dieses Leben, was ich da vor 2011 beschrieben habe, das konnte ich nicht mehr. War ja auch falsch. Also, dieses Gefühl, nicht mehr so leistungsfähig zu sein, war einfach der Tatsache geschuldet, dass ich jetzt tatsächlich mal gemerkt habe, wenn ich müde wurde. Das war schon anders. Insofern war ich nicht mehr so leistungsfähig und bin über meine Grenzen marschiert, wie ich es damals gemacht habe. Aber es war nicht nur das Gefühl, jetzt merke ich mich wieder und habe mehr Gespür, wie es mir eigentlich geht. Sondern es war schon auch so dieses grundsätzliche naja, so richtig gut ist es trotzdem nicht. Ich war immer wieder auch bei meiner Therapeutin, so ein paar Monate, da ging es mir nicht so gut, da bin ich wieder hin, hab mal gehört was los ist. Und wie gesagt, hattest du ja auch schon erwähnt, ich bin ja in der Phase nach dem Burnout, also 2014 ja nochmal befördert worden. Das hat ja grundsätzlich in meiner beruflichen Entwicklung gar nicht geschadet. Ich will jetzt nicht sagen, dass es das gefördert hat. Aus meiner Sicht bin ich stärker geworden, dadurch, aber ich denke nicht, das Unternehmen hat das jetzt nicht so als Stempel ok, er hat seine Themen geklärt, jetzt ist er besser, weiß ich nicht, also mein Chef hat das schonmal so signalisiert, dass er gesagt hat: „Du hattest da ein Problem, das hast du gelöst, jetzt geht es weiter.” Also das war schon so ein Bild für ihn, dass ich mich weiterentwickeln konnte dadurch und jetzt wieder noch stärker bin. Und daraufhin hat er mich in den Vorstand geholt. Er hat mich tatsächlich befördert und mir das zugetraut. Und ich hatte damals natürlich schon große Bedenken, ob ich das könnte. Ich habe dann auch mit meiner Therapeutin darüber geredet, ob ich das wirklich tun sollte, nochmal so eine Beförderung. So nach dem Motto: Ich habe ja schonmal gewackelt, ist das wirklich das richtige? Sie sagte damals, das werde ich nie vergessen: „Natürlich machst du das. Du weißt ja jetzt, wie aufhören geht.” Und das konnte ich damals gar nicht verstehen, weil ich wusste gar nicht genau, wie sie das meint. Und das ist genau das, was jetzt passiert ist, gegen Ende, also 2017 oder sogar 2018 bin ich wieder in so eine Phase reingekommen, wo ich wieder Symptome gespürt habe: Auf einmal wieder nicht so gut geschlafen, diese Übelkeit kam auch mal wieder. Also habe ich genau reingerochen in dieses alte Ding. Und man neigt ja auch dazu, diese Dinge zu beschönigen, also so schlimm war das ja alles nicht, aber dann so in dem Moment, wo du mal wieder reingespürt hast, in diese Depressionsart, in diese Zustände, da hast du gemerkt oh verdammt, genau so war das. Ich kam dann 2018 in so eine Phase, wo ich gemerkt habe oha, jetzt geht es wieder in die gleiche Richtung. Und das ist der entscheidende Unterschied in dem Zeitpunkt gewesen, dass ich wusste, was jetzt kommt. Das war früher nicht so. Früher hatte ich da keine Idee. Ich hatte 2011 keine Ahnung, was diese Krankheit, diese Übelkeit, was das alles ist. 2018 oder 2017 war mir sehr bewusst, was diese Signale bedeuten. Und, dass ich auf dem Weg bin, da wieder reinzulaufen. Dazu kam zu dem Zeitpunkt, dass wir verkauft wurden, also ich war 15 Jahre lang in diesem Private-Equity-Umfeld gewesen, also sehr, sehr toughes Management. Nur Geld, kein Mensch. Also diese Welt, die kannte ich schon sehr lang, und jetzt wurden wir nochmal verkauft und da wurden die Zügel nochmal härter angezogen. Und der neue Chef hatte mich damals in Situationen gebracht, in denen ich dann Entscheidungen treffen sollte, hinter denen ich einfach nicht stand: „Die 100 Leute in Los Angeles, schmeiß sie einfach raus, wir müssen nach Mexiko gehen.” Also solche Dinge, wo sich alles in mir gesträubt hat. Und diese gesundheitlichen Erkenntnisse kommen dann zusammen mit solchen ethischen und moralischen Fragen, die dein Wertesystem in Frage stellen. Und dann hat er mir es im Prinzip sehr leicht gemacht, weil er mich in diese Situation gedrückt hat und ich gesagt habe, so kann ich das nicht mehr machen. Und habe dann innerhalb von sehr kurzer Zeit geschafft, mich aus der Situation zu befreien. Habe meinem Chef gesagt, ich höre auf. Er konnte es überhaupt nicht verstehen. Er war völlig begeistert von meiner Leistung, hat mir Dinge angeboten, dass ich weiter machen kann. Er hat das nicht bewusst provoziert, aber (lacht) vielleicht unterbewusst, ich weiß es nicht. Und dann bin ich zu ihm und habe gesagt, ich höre auf. Und dann war mir relativ schnell auch klar – wir sind sehr positiv auseinander gegangen – dann war ich daheim, im Juli 2018.
Wie geht es dir denn nach dieser Entscheidung heute?
Ja, viel besser natürlich. Jetzt ist es sicherlich auch die Frage, weil das Modell, was ich jetzt hier gemacht habe, ja nicht so jedermann machen kann. Also, es muss ja auch gewisse finanzielle Möglichkeiten geben, dir sowas überhaupt zu leisten. Also ich konnte mir eine Überbrückungszeit durchaus da leisten, durch die Arbeit, die ich vorher gemacht hatte. Aber das geht ja nicht jedem so. Es ist ja ganz oft – und das sehe ich im Coaching auch – ist ja dieser finanzielle, existenzielle Druck, der real oder auch nur eingeredet da ist, doch präsent. Also ganz häufig erleben ja Leute in so einer Phase, dass sie wieder zurück müssen, weil was soll ich denn sonst machen. Also für mich war das natürlich damals eine Möglichkeit zu sagen, ich bleibe jetzt daheim erstmal, bin 6 Monate zuhause geblieben. Habe mir diese 6 Monate auch gegeben, wollte erstmal wieder fit werden. Und die 6 Monate habe ich auch gebraucht, ich war wieder ziemlich leer. Diese 6 Monate haben mir gut getan. Nach den 6 Monaten hatte ich am Anfang so ein Bild wie, dann fange ich was Neues an – ich wusste nicht genau was. Aber die 6 Monate gebe ich mir erstmal. Und das kann ich auch heute jedem empfehlen, der in die Situation kommen sollte, dass er wirklich mal aufhört mit irgendwas. Dass er sich wirklich Zeit nimmt, auch wenn das jetzt mit dem Geld vielleicht dann schon wieder enger wird. Aber wenn du es nicht schaffst, dann mal zur Ruhe zu kommen, oder mal zu reflektieren, was du als nächstes tun willst, und warum du da eigentlich nicht gut unterwegs warst, wo du vorher warst, stolperst du grade wieder in das gleiche Ding zurück. Insofern hat es sich dann für mich sehr bewährt, dass ich die Zeit hatte, und dann konnte ich wirklich immer drüber nachdenken. Das war gar nicht so leicht, weil das war jetzt nicht von Anfang an klar, dass ich in so einem Bereich wie jetzt – Coaching, Management-Beratung - in sowas reingehen wollte oder würde. Aber der Prozess, den ich dann auch mit Unterstützungen durchgemacht habe, so eine Umorientierungscoaching, war schon sehr hilfreich, da mal wirklich zu gucken: Was will ich eigentlich? Was kann ich eigentlich? Was möchte ich wirklich? Nicht: Was kann ich gut? Das konnte ich auch gut, was ich da gemacht habe. Sondern: Was will ich wirklich? Das war ja die Frage, auf die wenige Leute ja heute eine Antwort haben (lacht). Das sehe ich ja auch im Coaching, dass da ganz wenige was wissen. Also, geht mir wirklich viel, viel besser. Einfach die Tatsache, dass ich mich ins Bett legen kann, die Augen zu mache und die Gedanken wirklich zur Ruhe kommen, das kannte ich früher nicht. Das ist wirklich sehr, sehr erholsam.
Was möchtest du unseren Hörer:innen und Zuschauer:innen mit auf den Weg geben, was für Burnout-Betroffene, aber auch für potentiell Betroffene, hilfreich sein könnte?
Also es sind ja ganz unterschiedliche Situationen, in denen du jetzt sein kannst, wenn du hier zuhörst. Die Leute, die schon im Burnout sind, also die wissen, sie haben wirklich ein Problem, die sind vielleicht sogar schon zu Hause. Denen würde ich mal sagen: „Sei froh, auch wenn es verdammt weh tut gerade.” Aber das, was da gerade passiert, das ist unheimlich wichtig, und viele Leute werden später sagen: „Es war ein Geschenk, dass das passiert ist.” Ich meine, die Schmerzen sind wirklich eklig, das sind wirklich richtig miese Zeiten, aber das war offensichtlich der einzige Weg, wie du es lernen konntest, dass du was verändern musst. Das will man vermeiden, wenn man kann, deswegen habe ich auch sehr viele Coachings mit Leuten, die sagen: „Oh, das fühlt sich gerade nicht gut an. Was kann ich tun?” Und für die Leute, die schon bei mir anklopfen, die haben schon diesen Punkt im Kopf erreicht, dass sie sagen: „Das ist nicht gut. Da will ich was verändern.” Das ist schonmal sehr schön. Also wenn du diesen Punkt erreichen kannst, dass du denkst, das Leben ist eigentlich nicht so, wie es sein sollte. Mir geht es auch nicht wirklich gut, ich genieße mein Leben nicht. Ich genieße eigentlich überhaupt nichts mehr richtig. Wenn dir das so langsam bewusst wird, dass du in so einem fremdgesteuerten Leben, was dir gar nicht wirklich was bedeutet, lebst, dann kann ich dir nur dringend empfehlen: Hol dir Unterstützung! Das muss ja kein Therapeut sein. Das finde ich auch eine ganz wichtige Erfahrung, dass der Begriff Therapeut, den ich heute einfach so benutze, weil es einfach für mich völlig normal ist, in meinem früheren Leben hätte ich das niemals in den Mund genommen. „Das bin ich nicht, ich brauche keinen Therapeut”, höre ich auch ganz oft in meinem Coaching, „ich mache jetzt hier Coaching, Therapie brauche ich nicht.” Und das ist auch okay. Denn letztlich ist die Frage ja nur, dass du anfängst, dich damit zu beschäftigen. Das kannst du machen, indem du mit Leuten redest aus deinem Bekannten- oder Freundeskreis. Die, von denen du weißt, und du kennst bestimmt jemanden, der irgend so ein Thema schonmal hatte, oder jemanden kennt, der so etwas hatte – da gibt es ja heute leider viel zu viele – dass du mal mit solchen Leuten ins Gespräch gehst und einfach mal zuhörst. So wie ich hier. Dann merkst du schon ganz viele Gemeinsamkeiten, oder wenn du willst, auch ein Coaching machst. Wenn du Glück hast, bezahlt vielleicht auch deine Firma. So eine Führungskräfteentwicklung, würde ich auch gerne mal so anstreben – ist aber dann auch wirklich eher so ein Persönlichkeitscoaching. Also meine Empfehlung ist wirklich: Beschäftige dich mit dir und deiner Persönlichkeit. Und wenn du noch sehr jung bist, und das Thema weit von dir entfernt siehst, dann würde ich dir dringend empfehlen, lieber früher als später mal da rein zu gucken, mal deine Glaubenssätze anzugucken, mal zu überlegen, was ist dir wirklich wichtig im Leben und sich so schonmal mit den Dingen beschäftigen, die man vielleicht gar nicht im Fokus hat heute.
Würdest du also sagen, dass hinter dem Spruch „Es gibt den leichten Weg und den richtigen” viel Wahrheit steckt?
Ja, weiß ich jetzt gar nicht genau, was damit gemeint ist (lacht). Also ein leichter Weg ist es glaube ich nie. Also dieses Gefühl: „Oh ja, ich müsste was für mich tun”, so ein Self-Optimization-Ding (Was kann ich mir für eine Pille reinjagen? Welchen Lauf kann ich machen, damit ich noch schneller werde?), das ist es nicht. Es geht nicht darum, ein Wundermittel zu finden, sondern es ist wirklich die harte Wahl, dass du dich mit dir selbst beschäftigst. Und das fängt für mich auch an, dass du in der Lage bist, das Tempo rauszunehmen. Versuch mal, die Augen zuzumachen und zu meditieren. Viele Leute werden dabei verrückt. Die können das nicht. Weil sie von ihren Gedanken überrannt werden. Ich habe mal einem Freund von mir gesagt: „Nimm doch mal diese Audio-CD, hör dir mal 10 Minuten dieses Ding an, und mach mal Meditation, versuch’s mal.” Er hat gesagt: „Nach 2 Minuten habe ich aufgehört, ich bin verrückt geworden.” Dann hast du ein Problem, weil dann ist da viel zu viel Unruhe, viel zu viel was dich beschäftigt, aufwühlt. Und das ist auch bei mir sicher so ein Phänomen gewesen, dass ich mich durch meine Beschäftigung davon abgelenkt hab, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Also, wenn du es wirklich mal probieren willst, dann gehst du auch mal in den Wald, und läufst einfach mal nur ganz langsam durch den Wald. Und wirklich langsam. Beobachte den Wald, beobachte, was um dich rum ist, und nichts anderes denken. Nur den Wald angucken. Solche Sachen, das ist ja fast meditativ zu tun und zu lernen, ist ein Teil dieses Weges. Aber das kostet wieder Zeit, das kostet wieder Energie und deswegen ist es der leichte Weg. Das ist gar nicht so leicht. Man muss da wirklich überzeugt sein, und dann geht es auch weiter.
Das waren einige Erfahrungen und Einblicke zu der Burnout-Erkrankung einer betroffenen Person. Solltest du ähnliche Symptome bei dir selbst wieder erkennen, wende dich gerne an die hier hinterlegten Ansprechpersonen oder informiere dich weitergehend zu diesem Thema in der Mediathek. Solltest du dich um eines deiner Teammitglieder sorgen, unterstützen dich die hinterlegten Ansprechpersonen gerne bei der Sondierung möglicher weitergehender Maßnahmen.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.
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